Im Verhörzimmer der Abteilung »Fahnderprofile« bekam »Bloody Peter« Hammans diesmal die Daumenschrauben angelegt. Was er dabei zu Protokoll gab, lesen Sie hier.

  1. Steckbrief Peter Hammans

Studium der Anglistik/Amerikanistik und Politikwissenschaft, seit dreißig Jahren als Lektor im Verlagsgeschäft, bei kleineren wie größeren Häusern, seit Ende der neunziger Jahre bei dem großen Münchner Publikumsverlag Droemer Knaur. Ursprünglich aus dem Sachbuchbereich kommend, betreue ich mittlerweile seit zwanzig Jahren Kriminalromane und Thriller, vorwiegend aus Großbritannien und den USA (z.B. John Katzenbach und Val McDermid), aber auch aus Deutschland und den skandinavischen Ländern. Darüber hinaus einzelne Autoren aus Portugal und Brasilien.

  1. Wann kamen Sie das erste Mal mit Kriminal- bzw. Spannungsliteratur in Berührung?

Anfangs eher durch Film und TV, z.B. durch die notorischen, aus heutiger Warte unfreiwillig komischen Edgar-Wallace-Verfilmungen der sechziger Jahre, durch deutsche Fernsehproduktionen wie „Das Millionenspiel“ von Rainer Erler oder „Die Gentlemen bitten zur Kasse“ über den großen Postraub in England, in den Siebzigern dann natürlich der „Tatort“. Aber auch britische und amerikanische Serien wie „Mit Schirm, Charme und Melone“, „Jason King“, „Mini Max – Die unglaublichen Abenteuer des Maxwell Smart“, „77 Sunset Strip“ und natürlich die James-Bond-Blockbuster weckten den Spannungshunger. Die rote Reihe des Goldmann Verlages mit Autoren wie Dorothy Sayers, Ngaio Marsh, Francis Durbridge, Rex Stout und anderen Klassikern war deshalb gutes Futter für den jugendlichen Leseeifer. Richtig gepackt im Sinne einer Initialzündung hat mich dann der Thriller Gorki Park (1981) von Martin Cruz Smith, der Auftakt der bis heute fortgeführten Arkadi-Renko-Reihe, bei der Spannung und Gesellschaftsanalyse kongenial zusammenfinden.

  1. Warum Krimis? Was ist Ihrer Meinung nach so faszinierend an diesem Genre?

Aus der Warte des Devianten wird im Kriminalroman das „Normale“ beleuchtet, das sich meist als schöner Schein, als brüchig und konflikthaft herausstellt.

Der Kriminalroman ist ein ungeheuer breit angelegtes Genre, in mancher Hinsicht der Nachfolger des Gesellschaftsromans des 19. Jahrhunderts. Aus der Warte des Devianten wird hier das „Normale“ beleuchtet, das sich meist als schöner Schein, als brüchig und konflikthaft herausstellt. Im Kriminalroman (ich schließe bei diesem Begriff auch den Thriller mit ein) lassen sich höchst unterschiedliche, vielschichtige Konstellationen durchspielen und gesellschaftliche Verhältnisse wie in einem Prisma brechen, um sie in ein anderes Licht zu rücken. Wie gesellschaftliche (Sub-)Milieus, menschliches Verhalten und rechtliche Ordnungsvorstellungen ineinandergreifen, vor allem aber sich widersprechen und nicht zueinander passen, konzentriert der Kriminalroman wie in einem Brennglas. Und natürlich ist der Kriminalroman immer auch ein Kommentar zur menschlichen Natur, etwa zu Niedertracht vs. Ehrenhaftigkeit, Eigennutz vs. Altruismus, zu dem, was man gemeinhin „das Böse“ nennt. Und das fasziniert Menschen ja seit Urzeiten, Stichwort: Angstlust.

  1. Wie würden Sie den deutschen Krimimarkt charakterisieren? Bestehen Unterschiede zum englischen Krimimarkt (UK und USA)? Welche

Es ist immer problematisch, solche stark verallgemeinernden Aussagen zu treffen, aber es ist nicht zu übersehen, dass der deutsche Krimimarkt durch ein hohes Maß an Regionalisierung , man könnte auch sagen, Heimatbezogenheit, gekennzeichnet ist. Kaum eine Region oder auch nur etwas größere Stadt, die nicht ihren eigenen „Regiokrimi“ vorzuweisen hat. Das ist ein sehr deutsches Phänomen, das es im angloamerikanischen Bereich in dieser Spezifik nicht gibt. Natürlich hat auch dort jeder Kriminalroman seinen Schauplatz. Aber er spielt eben nicht per se die Hauptrolle und zieht dem Genre nicht wie in Deutschland durch die Beimengung von komödiantischen Elementen gewissermaßen den Zahn. Der deutsche Regiokrimi ist eine äußerst versöhnliche Spielart des Krimis, die sich eher aus dem (heute nicht mehr salonfähigen) Heimatroman und der Comedy speist. Wirklich böse geht’s da nicht zu. Das ist in GB und den USA nicht so. Die Autoren dort fühlen sich wesentlich stärker dem Genre als solchem und seinen prägenden Stilelementen verpflichtet, setzen Spannung an die erste Stelle.

Abgesehen davon scheint mir der deutsche Krimi noch immer durch den starken Bezug auf die angloamerikanischen Vorbilder charakterisiert zu sein. Man eifert ihnen nach, erreicht ihr Niveau aber nicht ganz. Dennoch muss man konstatieren, dass hier in den letzten zwanzig, dreißig Jahren eine beachtliche Aufholjagd stattgefunden hat. Es gibt, wenn auch nicht unbedingt in der Breite, durchaus immer mehr Klasse im deutschen Krimi, und neuerdings sogar Autoren, die auch intelligente Action können, ehedem die hohe Kunst der US-Autoren.

  1. Welcher Autor/Autorin ist Ihnen besonders ans Herz gewachsen? Warum?

Ich bin ein absoluter Fan von Colin Harrison, im Hauptberuf Cheflektor des New Yorker Verlags Scribner, der nur alle paar Jahre einen Thriller schreibt (1996: Manhattan Nocturne, dt. Manhattan, nachts; 2000: Afterburn, dt. Alles hat seinen Preis; 2004: The Havana Room; dt. Havana Room; 2008: The Finder, dt. Der Moloch) und dabei jeweils das Kunststück fertigbringt, nicht nur einen äußerst packenden Spannungsroman hinzulegen, sondern auch ein fein verästeltes Gesellschaftspanorama New Yorks aufzufächern. Wie ein Seismograph zeichnet Harrison die Tektonik des Big Apple im Wandel der jüngsten Zeitläufte nach, und deshalb freue ich mich auch schon sehr auf seinen neuesten Thriller, You Belong To Me, der im Juni 2017 bei Farrar, Straus & Giroux in New York erscheint, einer der besten Adressen des amerikanischen Literaturbetriebs.

  1. Welchen bisher unentdeckten englischsprachigen Krimiautor/in würden Sie dem deutschen Publikum unbedingt empfehlen?

Seit neuestem gibt es von dem britischen Autor Dan Smith aus Newcastle zwei Jugendbücher auf Deutsch. Er schreibt aber auch ausgezeichnete Kriminalromane für Erwachsene, z.B. The Child Thief und Red Winter, die in der Sowjetunion der zwanziger und dreißiger Jahre spielen und in zum Teil drastischen Bildern die Schrecken der Stalinära vor Augen führen. Dem internationalen Bestseller Kind 44 von Tom Rob Smith stehen diese Romane in nichts nach. Aber auch Dan Smiths Thriller mit exotischem Setting (Indonesien, Brasilien) sind nicht zu verachten (nähere Infos auf der Website des Autors: www.dansmithsbooks.com)

  1. Gibt es so etwas wie Modeerscheinungen im Krimigenre? Wenn ja, welche Mode herrscht gerade?

Soziale Phänomene, die frei von Modeerscheinungen wären, gibt es nicht. Das gilt erst recht für die literarische Ästhetik, und darum ist natürlich auch die Spannungsliteratur nicht frei von solchen Erscheinungen. Über die Mode der Regiokrimis habe ich mich ja oben schon ausgelassen. Darüber hinaus sind die Bestsellerlisten seit dem Erfolg von Gone Girl und Girl on the Train voll von „psychological suspense“ oder „domestic noir“.

Die häusliche Sphäre als klassische Domäne der Frau steht neuerdings Vordergrund (so gesehen also ein recht altbackenes Muster), es geht primär um die Innenschau, um das Gefangensein in persönlichen Wahrnehmungen und Traumata.

Stark psychologisierend und vor allem auf weibliche Gefühls- und Lebenswelten (z.B. Ehe- und Beziehungsprobleme) bezogen, wird uns hier eine Softvariante des Psychothrillers serviert. Ein bisschen Grusel darf schon sein – aber bitte nicht zu viel und nicht zu hart. Meist wird auch der gesellschaftliche Kontext jenseits der Perspektive der Protagonisten ausgeblendet. Die häusliche Sphäre als klassische Domäne der Frau steht im Vordergrund (so gesehen also ein recht altbackenes Muster), es geht primär um die Innenschau, um das Gefangensein in persönlichen Wahrnehmungen und Traumata. Nichts dagegen, aber mir persönlich ist da ein gestandener Psychothriller mit mehr Gänsehaut lieber.

  1. Vor dem Hintergrund des aktuellen Weltgeschehens, glauben Sie, dass der Politkrimi in nächster Zeit zunehmend an Bedeutung gewinnen wird?

Ich glaube nicht, dass weltpolitische Konstellationen das Leseinteresse spürbar beeinflussen. Sicherlich war z.B. der klassische britische Spionageroman eines John le Carré vor dem Hintergrund des Kalten Krieges sehr plausibel – aber haben deswegen mehr Menschen Spionageromane gelesen? Es kommt eher auf die Begeisterung für bestimmte Genres an, die die Leser/innen von vorneherein mitbringen. Dieses Lesebedürfnis wollen sie gestillt sehen. Der Politkrimi setzt ein spezifisches Leseinteresse voraus, generell ein Interesse für politische Inhalte, das im Spannungsbereich meiner Meinung nach nur eine Minderheit verfolgt. Was nicht heißen soll, dass sich hier keine Erfolge erzielen lassen. Zum Beispiel indem man breitenwirksame genretypische Muster gut mischt und Politik, Action und Verschwörung kombiniert. Ich denke da etwa an die Bourne-Romane von Robert Ludlum.

  1. Gibt es für Sie Handlungsorte, Motive, Konstellationen oder Handlungsstrukturen, die Sie besonders reizen? Warum?

Kälte, Schnee und Eis sind ein guter Verstärker für Spannung, eine ähnlich lebensfeindliche Bedrohung wie das Verbrechen. Mit einem solchen Setting lässt sich die Dramatik der Handlung noch steigern. Deshalb gefällt mir beispielsweise die John-Cardinal-Reihe des kanadischen Autors Giles Blunt, die mit Ausnahme eines Bandes, bei heftigen Grad unter Null, im winterlichen Ontario angesiedelt ist. Auch der Reiz der skandinavischen Krimis für das Lesepublikum beruht m.E. nicht zuletzt auf dem nordischen Setting, das selbst im Sommer zumindest immer gut für Düsternis ist (auch wenn’s gerade nicht schneit, siehe die Optik der Wallander-Filme). Da ist es nur konsequent, wenn man gleich ganz in den hohen Norden geht wie die britische Autorin Melanie McGrath in ihren Krimis um die markante Inuit-Ermittlerin Edie Kiglatuk, in denen eigentlich aber die Arktis die Hauptrolle spielt.

  1. Krimis haben in der Literaturszene immer noch ein wenig das Image des Schmuddelkindes, will sagen, sie gelten als trivial. Wie, glauben Sie, könnte man dem Krimi als Genre zu mehr Souveränität verhelfen?

Ich habe nicht den Eindruck, dass die Kriminalliteratur, wie vielleicht noch vor zwanzig, dreißig Jahren, als Schmuddelkind angesehen wird. Hier hat ein starker Wandel stattgefunden. Selbst im Feuilleton der angesehenen überregionalen Tages- oder Wochenzeitungen und in Nachrichtenmagazinen werden Krimis heute wie selbstverständlich besprochen, neben literarischen Titeln. Wenn dies dazu beiträgt, die immer noch vorherrschende Trennung von E- und U-Kultur hierzulande zu überwinden – ein sehr deutsches Phänomen, an dem sich angloamerikanische Krimiautoren nicht abarbeiten müssen –, ist dies nur zu begrüßen. Sicherlich ist nicht zu erwarten, dass in absehbarer Zeit ein Spannungsautor den Literaturnobelpreis erhält. Dennoch ist die Spannung mittlerweile als Katalysator auch für literarische Stoffe im engeren Sinne anerkannt. Eher sehe ich die Gefahr einer gewissen Inflationierung, gerade weil Spannung als erfolgreiches Stilmittel weithin eingesetzt wird und eigentlich in alle Genres hineindiffundiert ist.

Krimiscout bedankt sich herzlich bei Peter Hammans und wünscht ihm weiterhin viel Erfolg!


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