In unserer Reihe »Fahnderprofile« sprechen wir mit Krimiblogger Ludger Menke. Sein Motto: »Catch me if you can«

Krimiscout hat ihn geschnappt. Und hier ist das Vernehmungsprotokoll.

  1. Steckbrief Ludger Menke – Vom Enthusiasten zum Quartalssäufer

Mein Steckbrief: Mensch seit 1966, Bibliothekar seit 1992, DJ seit 1994, Netzarbeiter seit 1999 und Blogger seit 2005.

In den letzten Jahren habe ich mich von einem Enthusiasten zu einem Quartalssäufer der Kriminalliteratur entwickelt, was nur zum Teil ihre Schuld ist. Mit krimiblog.de unterhielt ich eines der ältesten deutschsprachigen Blogs zum Thema, dann kamen für ein paar Jahre die Krimi-Depeschen dazu. Darin habe ich fast täglich Neuigkeiten zur Kriminalliteratur aus dem Netz gefischt, was leider zu zeitaufwändig wurde. Und als digitaler Nomade suche ich mir im Netz immer wieder mal neue Orte, wo ich mich aufgehoben fühle.

  1. Wann kamen Sie das erste Mal mit Kriminal- bzw. Spannungsliteratur in Berührung?

Als Kind beeindruckte mich Stringer Davis, der in den bekannten Miss-Marple-Verfilmungen den hasenfüßigen Mr. Stringer an der Seite von seiner Frau Margaret Rutherford spielte. Er verkörperte den Bibliothekar, und da ich mich in dieser Figur wiedererkannte, wurde ich Bibliothekar. Später folgten dann die üblichen Verdächtigen: Christie, Sayers, Chandler bis hin zu den modernen Autorinnen und Autoren.

»Es gibt nach meiner Auffassung nicht die eine Kriminalliteratur, es gibt Kriminalliteraturen, die sich immer wieder verändern.«

  1. Warum Krimis? Was ist Ihrer Meinung nach so faszinierend an diesem Genre?

Die Vielfalt. Es gibt nach meiner Auffassung nicht die eine Kriminalliteratur, es gibt Kriminalliteraturen, die sich immer wieder verändern. Ob als streng an formalen Vorgaben abgearbeitete Texte, ob als literarisches Spiel mit diesen Vorgaben, ob als Bestandsaufnahme menschlicher Abgründe oder als Spiegel gesellschaftlicher Strukturen – Kriminalliteratur ist sehr facettenreich.

  1. Wie würden Sie den deutschen Krimimarkt charakterisieren? Bestehen Unterschiede zum englischen Krimimarkt (UK und USA)? Welche?

In den letzten Jahren habe ich den deutschen Krimimarkt etwas aus den Augen verloren, mein Augenmerk richte ich vor allem auf die englischsprachigen Autorinnen und Autoren.

»Leider wird ja nur ein Bruchteil dessen, was auf dem angloamerikanischen Markt veröffentlicht wird, ins Deutsche übersetzt«

Das bedeutet nicht, dass ich deutsche Kriminalliteratur per se langweilig finde, ich habe nur für mich Prioritäten gesetzt und die liegen im angloamerikanischen Raum. Das hat ganz pragmatische Gründe, weil meine Lebens- und Lesezeit begrenzt ist. Zudem war und ist das, was an Kriminalliteratur dort veröffentlicht wird, in meinen Augen oft prägender, treibender oder spielfreudiger. Leider wird ja nur ein Bruchteil dessen, was auf dem angloamerikanischen Markt veröffentlicht wird, ins Deutsche übersetzt. Umgekehrt sieht es noch verheerender aus – die Zahl an deutschsprachigen Krimiautorinnen und -autoren, die es in andere Sprachen schaffen, ist doch immer noch sehr klein.

  1. Welcher Autor/Autorin ist Ihnen besonders ans Herz gewachsen? Warum?

Seit einiger Zeit beschäftige ich mich vermehrt mit den „älteren“ Autorinnen und Autoren. Beeindruckt hat mich etwa die Anthologie „Women Crime Writers“, die 2015 von Sarah Weinman in der Library of America herausgegeben wurde. Dort finden sich Autorinnen, die in den 1940er und 1950er Jahren veröffentlicht wurden und die heute nur wenige noch kennen. Großartige Autorinnen wie etwa Dorothy B. Hughes oder Elisabeth Sanxay Holding, die in Vergessenheit geraten sind. Überhaupt die Library of America: Dort werden Klassiker der US-amerikanischen Literatur aufgelegt und ganz selbstverständlich steht dort ein Ross Macdonald oder ein Elmore Leonard neben einem William Faulkner oder einem Saul Bellow. Bitte stellen Sie sich jetzt mal eine deutsche Klassikerbibliothek vor, in der neben Heinrich Böll oder Günter Grass auch Ulf Miehe oder Jörg Fauser veröffentlicht würden.

  1. Welchen bisher unentdeckten englischsprachigen Krimiautor/in würden Sie dem deutschen Publikum unbedingt empfehlen?

Da gibt es einige, ich kann nur ein paar Schlaglichter meiner Wünsche liefern: Eine Wiederentdeckung der oben genannten Autorinnen, auch etwa von Vera Caspary oder Helen Eustis, dann natürlich eine deutschsprachige Werkausgabe von Jim Thompson. Generell ein verstärkter Blick auf die Autorinnen und Autoren der Kriegsjahre. Bei den neueren Autorinnen und Autoren steht Megan Abbott ganz oben auf meiner Wunschliste. Von ihr gibt es zumindest eine Übersetzung, da dürfte gerne noch mehr kommen. Und David Joy, der im vergangenen Jahr für seinen Debütroman für den Edgar nominiert war (und ihn leider nicht bekommen hat).

  1. Gibt es so etwas wie Modeerscheinungen im Krimigenre? Wenn ja, welche Mode herrscht gerade?

Die gibt es bestimmt, ich nehme sie auch wahr, allerdings eher so am Rande.

»Funktioniert ein bestimmtes Erzählmuster oder ein bestimmtes Setting, rollt umgehend die ganze Welle dieser „Me-Too“-Romane nach, was mich schnell anödet.«

Im angloamerikanischen Raum waren in den letzten Jahren etwa die Beziehungskisten-Romane wie etwa „Gone Girl“ von Gillian Flynn oder „Girl on the Train“ von Paula Hawkins sehr angesagt und zogen entsprechende Nachahmungstäterinnen und -täter nach sich. Das ist eines der Dinge, die bei Kriminalliteratur oft zu beobachten ist: Funktioniert ein bestimmtes Erzählmuster oder bestimmte Settings, dann rollt gleich eine ganze Welle dieser „Me-Too“-Romane nach, was mich schnell anödet.

  1. Vor dem Hintergrund des aktuellen Weltgeschehens, glauben Sie, dass der Politkrimi in nächster Zeit zunehmend an Bedeutung gewinnen wird?

Was ist ein Polit-Krimi? Politik ist zu ernst, zu real, um sie dem Krimi – einer Fiktion – zu überlassen. Hier findet seit Jahren eine Überfrachtung mit Erwartungen an eine Literatur statt, die diese gar nicht erfüllen kann. Polit-Krimi – was auch immer das genau sein soll – ist in meinen Augen vor allem eine Filterblase, die von einige Literaturkritikern gepflegt wird und auch nur dort funktioniert.

»Kriminalliteratur findet, wie jede Literatur, in einem zeitgeschichtlichen Rahmen statt«

Selbstverständlich kann man auch fast jeden Krimi politisch lesen: Wer Agatha Christie mit wachem Verstand liest, der wird entsetzt sein, was für eine imperialistische, homophobe und rassistische Autorin da am Werke ist. Kriminalliteratur findet, wie jede Literatur, in einem zeitgeschichtlichen Rahmen statt und den sollte man als Leserin und Leser halbwegs kennen. Das ist in meinen Augen wichtiger, als einem Label nachzujagen, das zumindest fragwürdig ist.

Dass Politik mit all ihren Widerwärtigkeiten und Verwerfungen ein Thema für Kriminalliteratur sein kann, ist selbstverständlich. Aber im Gegensatz zur Literatur braucht Politik auch immer Antworten, Lösungsansätze, Pragmatismus. Wenn ich etwa diese Romane lese, die unter dem Etikett „Noir“ verkauft werden, dann ist da zwar viel Verzweiflung zu sehen – aber kein Ausweg. Dieser oft kalte Zynismus, mit dem dort gearbeitet wird, ist nicht hilfreich, er ist Stillstand. Als Leser kann ich das akzeptieren, als politisch wacher Mensch reicht mir das nicht. Dann lese ich doch lieber Tages- oder Wochenzeitungen oder entsprechende Internetseiten, das ist mit Blick auf die Politik sinnvoller.

  1. Gibt es für Sie Handlungsorte, Motive, Konstellationen oder Handlungsstrukturen, die Sie besonders reizen? Warum?

Da habe ich natürlich auch meine eigene Filterblase, die geprägt ist durch die angloamerikanische Literatur. Dennoch breche ich gerne auch mal aus, etwa zur lateinamerikanischen Literatur, die ich immer wieder spannend finde.

  1. Krimis haben in der Literaturszene immer noch ein wenig das Image des Schmuddelkindes, will sagen, sie gelten als trivial. Wie, glauben Sie, könnte man dem Krimi als Genre zu mehr Souveränität verhelfen?

»Ganz ehrlich: Who cares?«

Ganz ehrlich: Who cares? Wer als Literaturkritiker/in oder als Leser/in im Jahre 2017 immer noch in diesen Mustern von E- und U-Literatur denkt, wer seine Urteile nach Etiketten fällt, dem fehlt es an Souveränität – und nicht der vielfältigen Kriminalliteratur.

Krimiscout bedankt sich herzliche bei Ludger Menke und wünscht ihm weiterhin viel Erfolg!


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