…wie sind Sie eigentlich zum Übersetzen gekommen?

Am Anfang stand meine Leidenschaft für Sprache, die eigentlich schon immer da war: für das Deutsche natürlich, meine Muttersprache, aber auch für das Englische, in das ich mich am Gymnasium Hals über Kopf verliebte, quasi in der ersten Englischstunde. Diese Liebe ist bis heute kein bisschen schwächer geworden. Hinzu kommt meine Leidenschaft für Literatur, für Bücher, für Geschichten – auch die war eigentlich immer da und hält sich standhaft.

Das Interesse am Übersetzen wurde dann während des Studiums geweckt: Ich habe Anglistik, Komparatistik und Theaterwissenschaft studiert und nach der Zwischenprüfung aus Aachen und Köln an die LMU München gewechselt. In meinem ersten Münchner Semester wurde in der Komparatistik ein Hauptseminar zum Thema „Übersetzungstheorie“ angeboten. Das fand ich sehr spannend und habe mir dadurch zum ersten Mal Gedanken darüber gemacht, was Übersetzen eigentlich ist, was man da macht und wie das geht. Der damalige Dozent, selbst freier Übersetzer, tauchte dann einige Zeit später im Freundeskreis wieder auf, und irgendwann fragte er mich, ob ich nicht Lust hätte, einen Teil seiner aktuellen Übersetzung zu übernehmen, den ausführlichen biographischen Teil des Katalogs zu einer großen Robert-Rauschenberg-Retrospektive. Das war die Initialzündung: Ich merkte, dass mir diese Arbeit ungeheuer Spaß macht und ich das anscheinend auch ganz gut kann. Es gab dann noch diverse Kurven und Volten – unter anderem zwei Jahre in einer Agentur für Software- und Internetübersetzung –, aber schließlich entschloss ich mich im Sommer 2002, das Aufbaustudium „Literarisches Übersetzen aus dem Englischen“ an der LMU zu machen und hatte dann das große Glück, mehr oder weniger nahtlos, noch während des Studiums, erste Aufträge zu bekommen. Inzwischen bin ich seit 14 Jahren als literarische Übersetzerin tätig und sehr glücklich darüber, meine beiden großen Leidenschaften tatsächlich zu einem oft schwierigen und fordernden, aber immer auch großartigen und erfüllenden Beruf gemacht zu haben.

Und wie speziell zu Krimis?

Ehrlich gesagt ein bisschen wie die Jungfrau zum Kinde. Ich war selbst keine große Krimi-Leserin, als mir die ersten Aufträge dieser Art angeboten wurden. Aber Krimis sind mit das größte Genre, vor allem auch im englischsprachigen Raum, und somit gerade für Englischübersetzer das tägliche Brot. Meine ersten Aufträge waren echte Krimi-Klassiker, Kurzfassungen von Agatha-Christie-Romanen, die in England gekürzt und dann in dieser Fassung neu übersetzt und als Hörbuch eingesprochen wurden. Das fand ich großartig! Dann ging es weiter mit den unterschiedlichsten kriminalistischen Aufträgen – fast immer tolle Texte, die auch mein persönliches Interesse an diesem im doppelten Sinn hochspannenden Genre verstärkt haben.

Oft enthalten ja auch Romane, die keine expliziten Krimis sind, Spannungselemente und eine Kriminalhandlung. Irgendwie bleibt man als Englischübersetzerin also doch auch immer Krimiübersetzerin.

Inzwischen hat die nicht-kriminalistische Belletristik bei mir die Oberhand gewonnen, aber einige meiner Lieblinge von früher – die britische Autorin Elly Griffiths beispielsweise mit ihrer hinreißenden Hauptfigur, der forensischen Archäologin Ruth Galloway, oder das amerikanische Mutter-Tochter-Duo P.J. Tracy, deren letzten Roman ich gerade auf dem Schreibtisch habe – übersetze ich weiterhin. Und oft enthalten ja auch Romane, die keine expliziten Krimis sind, Spannungselemente und eine Kriminalhandlung – »Ordinary Grace« ist so ein Fall. Irgendwie bleibt man als Englischübersetzerin also doch auch immer Krimiübersetzerin.

Arbeitsplatz Tanja Handels im Interview mit Krimiscout

Was sind die Herausforderungen beim Übersetzen von Spannungsliteratur?

Spannungsliteratur trägt ihren Hauptanspruch ja schon im Namen: Sie muss spannend sein, und das heißt in den meisten Fällen, dass ganz klar die Geschichte, die Handlung im Vordergrund steht (Ausnahmen bestätigen die Regel). Es ist also bei Krimis, Thrillern und dergleichen noch wichtiger als ohnehin schon, so zu übersetzen, dass die Leser bei der Stange bleiben. Die Geschichte muss gut fließen, man darf sich nicht in verschachtelten Satzungetümen verlieren, sollte Relativsatzschlangen vermeiden, auf die idiomatische Übersetzung von Redewendungen achten, auf eine möglichst natürliche Figurenrede etc. Natürlich sind das alles Dinge, die bei jeder literarischen Übersetzung wichtig sind. Aber bei Spannungsliteratur sind sie vielleicht noch einmal besonders entscheidend.

Was haben Sie speziell bei der Arbeit an »Ordinary Grace« als besonders schwierig erlebt?

Bei »Ordinary Grace« bestand die Herausforderung vor allem darin, den richtigen Ton zu finden. Der Ich-Erzähler berichtet mit über fünfzig von dem Sommer, in dem er dreizehn war, und den dramatischen Ereignissen dieses Sommers, die ihn vor der Zeit erwachsen werden lassen.

Manches, was auf Englisch poetisch klingt, überschreitet auf Deutsch schnell mal die Schwelle zum Kitschigen

Dieser Kontrast zwischen dem erzählenden Ich (dem fünfzigjährigen Mann) und dem erlebenden Ich (dem dreizehnjährigen Jungen), das sich zudem im Lauf des Romans stark entwickelt, ist sehr reizvoll und schlägt sich stilistisch in einem lyrisch-elegischen, manchmal aber auch recht handfesten Grundton nieder, einer Mischung aus Unschuld und Wissen, aus Lebensfreude und Trauer, die dem Autor im Original großartig gelingt und mich als Leserin sehr in ihren Bann gezogen hat. Das muss auf Deutsch dann natürlich möglichst genauso werden, und das war gar nicht leicht: Manches, was auf Englisch poetisch klingt, überschreitet auf Deutsch schnell mal die Schwelle zum Kitschigen. Da musste ich jedes Wort mit Bedacht wählen, so manches Adjektiv streichen (das Englische verträgt, vielleicht aufgrund seines ungeheuer großen Wortschatzes, meistens mehr Adjektive als das Deutsche) oder einen neutraleren, „kargeren“ Ausdruck wählen.

Interessant war auch der Aspekt, dass der Roman 1961 spielt, also in gewisser Weise schon historisch ist. Da gilt es dann, gerade in der wörtlichen Rede, die teilweise sehr umgangssprachlich ist – wenn Protagonist Frank beispielsweise mit seinem jüngeren Bruder Jake redet oder die Nebenfigur Morris Engdahl, der typisch derbe »Halbstarke«, vom Leder zieht –, Anachronismen zu vermeiden, aber auch nicht zu altmodisch zu klingen. Ein kleines, eigentlich unspektakuläres Beispiel illustriert vielleicht ganz gut, was ich meine: Der elfjährige Jake zeigt seinem Bruder eine Natter, die er bei der Gartenarbeit gefunden hat, und sagt: „Neat, huh, Frank?“ Von der Zeit her könnte man hier durchaus „dufte“ als Übersetzung für „neat“ nehmen – aber der Ausdruck hat sich längst überlebt und transportiert irgendwie den Muff der deutschen Fünfzigerjahre, was in einen historischen amerikanischen Text so gar nicht passt. „Super“ und „toll“ hingegen sind schon wieder zu modern für die beginnenden Sechzigerjahre. Ich habe mich letztlich für „Klasse, was, Frank?“ entschieden, das mir die zeitloseste Variante erschien.

Ein großes Übersetzungsproblem war das Wort „grace“, das dem Original seinen Titel gibt und auch im Text mehrmals vorkommt. Sein Bedeutungsspektrum im Englischen ist ausgesprochen groß und je nach Kontext durchaus unterschiedlich. William Kent Krueger beschränkt sich auf die Verwendung im religiösen Kontext, was „nur“ drei Bedeutungsmöglichkeiten übrig lässt: „Gnade“, „Segen“ und „(Tisch-)Gebet“. Alle drei Bedeutungen kommen im Buch vor, es gibt aber im Deutschen kein einzelnes Wort, das sie alle abdeckt. Immerhin kann man das Tischgebet auch als „Tischsegen“ bezeichnen, so dass ich am Ende mit zwei unterschiedlichen Übersetzungen ausgekommen bin: „Gnade“ und „Segen“.

Aber ein kleiner Stachel im Übersetzerinnenfleisch bleibt trotzdem, wenn man so klar vor Augen geführt bekommt, dass man beim Übersetzen manchmal doch etwas opfern muss.

Der deutsche Titel wird vermutlich ohnehin ganz anders lauten als der englische – für die Titelfindung ist übrigens der Verlag zuständig, da werden wir Übersetzer selten einbezogen –, es ist also nicht ganz so schlimm, dass aus diesem Schlüsselwort im Deutschen zwei werden. Aber ein kleiner Stachel im Übersetzerinnenfleisch bleibt trotzdem, wenn man so klar vor Augen geführt bekommt, dass man beim Übersetzen manchmal doch etwas opfern muss.

Welcher Titel aus Ihrem Oeuvre hat Ihnen besonders viel Freude bereitet? Warum?

Ein Roman, der mir sehr am Herzen liegt, ist »Die Geschichte des Regens« (History of the Rain) von Niall Williams: kein Krimi, aber ein ganz wunderbarer Text mit einer ungeheuer witzigen und altklugen neunzehnjährigen Ich-Erzählerin, die in einem irischen Dorf todkrank im Bett liegt, umgeben von den mehr als dreitausend Büchern ihres verstorbenen Vaters, die sie vor ihrem eigenen Tod allesamt zu lesen gedenkt, um darin die Geschichte ihres Vaters und ihrer Familie zu finden, während draußen der irische Regen fällt. Stilistisch und inhaltlich war dieser Roman eine immense übersetzerische Herausforderung, aber es ist eines der hinreißendsten Bücher, die ich bisher übersetzen durfte. Ein Buch für Büchermenschen. Und auf seine Weise auch ausgesprochen spannend!

Gibt es Titel und/oder Autoren aus dem Bereich Spannung, die Ihrer Meinung nach unbedingt noch für den deutschen Markt übersetzt werden sollten?

Ich bin, wie gesagt, nicht die allerbewandertste Krimiexpertin und gerade bei aktuellen Titeln und Autoren nicht so auf dem Laufenden. Aber vielleicht könnte man es ja mit William Kent Kruegers Cork O’Connor-Reihe noch einmal versuchen?

Vielleicht könnte man es ja mit William Kent Kruegers Cork O’Connor-Reihe noch einmal versuchen?

Der erste Band wurde 2000 ins Deutsche übersetzt, danach folgte kein weiterer mehr. Aber nachdem ich während der Übersetzung von »Ordinary Grace« ein paar der Bände gelesen habe, finde ich, diese Reihe um den Ermittler mit indianisch-irischen Wurzeln hätte durchaus eine zweite Chance verdient.

Was sollten Leser unbedingt über Übersetzer wissen?

Vor allem: dass es uns gibt! Und was es ohne uns alles nicht gäbe – keine Literatur aus anderen Ländern nämlich. Leser sollten sich bewusst sein, dass an dem Buch eines französischen, englischen, italienischen, russischen oder chinesischen Autors, das sie da gerade auf Deutsch lesen, immer auch noch ein zweiter Urheber beteiligt war.

Wir sind ein heterogener Haufen, aber uns alle eint die Liebe zur Literatur und zu den Sprachen, aus denen und in die wir übersetzen, die Leidenschaft für unseren Beruf und eine tiefe, fast schon intime Kenntnis „unserer“ Bücher und Autoren

Zum Glück sind wir Übersetzer heute längst nicht mehr so unsichtbar wie früher und arbeiten weiter an unserer Sichtbarkeit: in unserem Berufsverband, dem VdÜ, in Vereinen wie dem Münchner Übersetzer-Forum  oder der Weltlesebühne, bei Veranstaltungen, Lesungen, Podiumsdiskussionen, auf unseren eigenen Websites, in Interviews und Artikeln. Wir sind ein heterogener Haufen, aber uns alle eint die Liebe zur Literatur und zu den Sprachen, aus denen und in die wir übersetzen, die Leidenschaft für unseren Beruf und eine tiefe, fast schon intime Kenntnis „unserer“ Bücher und Autoren. Das darf man alles gerne sehen!

Krimiscout bedankt sich bei Tanja Handels und wünscht ihr weiterhin viel Erfolg.

Weiterführende Informationen

Website Tanja Handels

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Titelbild Tanja Handels (c) Thilo Wydra, mit freundlicher Genehmigung

Bild Arbeitsplatz (c) Tanja Handels privat, mit freundlicher Genehmigung