…wie sind Sie eigentlich zum Übersetzen gekommen? Und wie speziell zu Krimis?

Nachdem ich schon ein paar Jahre stapelweise klassische englische Rätsel- und Häkelkrimis aus der Bibliothek mit nach Hause geschleppt hatte, habe ich als Teenager über den Umweg von Gangster- und Lieblingsfilmen der Schwarzen Serie die Klassiker der amerikanischen Kriminalliteratur entdeckt, zum ersten Mal im Original gelesen und wahrscheinlich nur halb verstanden, was meiner Lust daran aber keinen Abbruch getan hat.

Ich habe dann Amerikanistik, Anglistik und Germanistik in Düsseldorf und Hamburg studiert, dazwischen ein Jahr lang an der State University of New York in Buffalo, und mich schon während des Studiums viel mit so genannter Populärliteratur und den Theorien darüber beschäftigt.

Ende der 1980er habe ich eine Romanbiographie über Raymond Chandler veröffentlicht (»Mein Freund Marlowe – Das einsame Leben des Raymond Chandler« – seit Ewigkeiten vergriffen …). Als dann etwa zur selben Zeit ein amerikanischer Krimi mit vielen Bezügen auf und Zitaten aus Chandlers Romanen auf Deutsch erscheinen sollte (Hiber Conteris »Zehn Prozent für Marlowe« – ungefähr genauso lange vergriffen …), hat der Verlag mir die Übersetzung angeboten. So habe ich praktisch gleich als Krimiübersetzer angefangen, und Kriminalromane machen bis heute einen großen Teil der von mir übersetzten Werke aus.

Was – würden Sie sagen – sind die Herausforderungen beim Übersetzen von Spannungsliteratur?

Grundsätzlich sind die Herausforderung beim Übersetzen von Spannungsliteratur die gleichen wie jeder Literatur, da gibt es halt sprachlich mehr oder weniger komplexe Texte. Naturgemäß hat man häufiger mit Fachbegriffen aus der Waffenkunde, der Gerichtsmedizin, dem Prozessrecht etc. zu tun.

Grundsätzlich sind die Herausforderung beim Übersetzen von Spannungsliteratur die gleichen wie jeder Literatur.

Zudem werfen Krimis gerne Schlaglichter auf die verschiedensten Sphären und Schichten der Gesellschaft, sie entwickeln ihre Geschichten in Dialogen, deshalb tritt das leidige Problem der Übersetzung von Dialekt, Soziolekt, Jargon, Szenesprachen etc. vielleicht verstärkt auf. Und bei literaturunverdächtigem Genre-Futter erwarten die Verlage auch eher mal, dass man ein bisschen »glättet«.

Welcher Titel aus Ihrem Oeuvre hat ihnen besonders viel Freude bereitet? Warum?

Da würde ich gern zwei Romane nennen:

  1. »Die schwarze Rose« von Martin Cruz Smith – die Geschichte eines in Unehre gefallenen Afrikaforschers, der Ende des 19. Jahrhunderts in einem Bergarbeiterstädtchen in Nordengland einen verschwundenen Geistlichen finden soll. Ein tolles Panorama von Klassengesellschaft, Kolonialismus und den Arbeitsbedingungen von Bergleuten, für das ich buchstäblich tief in das Leben im Pütt einsteigen und sogar ein neues deutsches Wort erfinden musste. Außerdem eine der schönsten in einen Krimi verpackten Liebesgeschichten, die ich kenne.
  2. »Der Blinde von Sevilla« von Robert Wilson – Auftakt der Tetralogie über Inspector Jefe Javier Falcón, der sich für die Lösung einer Mordserie während der Karwoche in Sevilla eigenen Traumata stellen muss. Ein großartig durchkomponierter, historisch weit ausholender Roman über die Motive Sehen, Erkennen, Verstehen, Verdrängen, Kunst und Leben, Schein und Sein, von enormer sprachlichen Dichte. Für die Übersetzung habe ich damals eine Reisestipendium des Deutschen Übersetzerfonds bekommen, konnte Schauplätze des Romans besuchen, die Atmosphäre dieser wunderbaren Stadt atmen und meine Freundschaft mit Robert Wilson vertiefen, der zufällig gerade zu einer Lesung dort war und mir das Haus gezeigt hat, in dem er seinen Helden wohnen lässt.Arbeitsplatz Kristian Lutze im Interview mit Krimiscout

Gibt es Titel und/oder Autoren aus dem Bereich Spannung, die Ihrer Meinung nach unbedingt noch für den deutschen Markt übersetzt werden sollten?

Ich muss gestehen, dass ich seit einigen Jahren in meiner Freizeit auch gern mal ein Buch lese, in dem niemand stirbt, oder wenn eines natürlichen Todes. Deshalb kann ich kaum mit unentdeckten Geheimtipps aufwarten.

Und es gibt in Deutschland in großen und kleinen Verlagen, in Agenturen, Redaktionen und kenntnisreichen Blogs wie diesem so viele kluge und engagierte Menschen, die gerade den englischsprachigen Markt der Spannungsliteratur viel besser im Blick haben als ich. Deswegen hole ich mir meistens Empfehlungen, statt welche zu geben.

Aber »mein« erwähnter englischer Autor Robert Wilson hat vor seinem ersten auf Deutsch erschienenen und mit dem deutschen Krimipreis ausgezeichneten Roman »Tod in Lissabon« vier in Westafrika angesiedelte Noir-Krimis geschrieben, in denen er seine eigenen Reise- und Lebenserfahrungen in dieser Region verarbeitet. Die sind auch durchaus lesenswert und bisher nicht übersetzt …

Was sollten Leser unbedingt über Übersetzer wissen?

Wenn Leser etwas über Übersetzer wissen wollen, kann ich erzählen, dass die Kolleginnen und Kollegen, die ich kenne, alle mit großer Begeisterung und Leidenschaft, mit Recherchefleiß und Akribie, bestenfalls mäßig bezahlt, fremde Welten und Worte erschließen, damit ihnen ihre deutschen Leser später dorthin folgen können.

Leserinnen und Leser möchten bisweilen gar nicht unbedingt viel über Übersetzer wissen, weil es auch irgendwie illusionszerstörend ist, die Worte der eigenen LieblingsautorInnen nur aus sozusagen zweiter Hand zu lesen. Und dafür kann ich bei allem berechtigten Streben nach mehr Sichtbarkeit unseres Berufstandes eine halbwegs gelassene Nachsicht aufbringen. Ist ja auch nicht jede Geschichte, die hierzulande zwischen zwei Buchdeckel gedruckt und als Krimi bezeichnet wird, ein bleibendes sprachliches Kunstwerk, dem wortreiche Würdigung gebührt.

Wenn Leser etwas über Übersetzer wissen wollen, kann ich erzählen, dass die Kolleginnen und Kollegen, die ich kenne, alle mit großer Begeisterung und Leidenschaft, mit Recherchefleiß und Akribie, bestenfalls mäßig bezahlt, fremde Welten und Worte erschließen, damit ihnen ihre deutschen Leser später dorthin folgen können. Dabei machen sie manchmal Fehler, die manchmal niemand bemerkt, bis irgendeine schlaue Leserin oder ein Leser sie darauf aufmerksam macht …

P.S.: Eins sollten Leser vielleicht doch wissen: Übersetzer sind so gut wie nie für die deutschen Titel der von ihnen übertragenen Werke verantwortlich und deshalb in der Regel der falsche Adressat für Kritik daran, so berechtigt sie im Einzelfall sein mag. (Und das ist sie …)

Krimiscout bedankt sich bei Kristian Lutze und wünscht ihm weiterhin viel Erfolg.

 


Weiterführende Informationen

Website Kristian Lutze

Information zu Bildrechten

Titelbild (c) Kristian Lutze , mit freundlicher Genehmigung

Bild Arbeitsplatz (c) Kristian Lutze privat, mit freundlicher Genehmigung