Im Rahmen der aktuellen Ermittlungen in Sachen »Fahnderprofile« hat Krimiscout diesmal Sonja Hartl ins Verhörzimmer gebeten – und Interessantes erfahren. Hier das Ergebnis – exklusiv für Krimiscout-Leser.
- Steckbrief Sonja Hartl
SH: Geboren wurde ich in Hannover, studiert habe ich in Marburg, dann eine Weile in Bonn gewohnt, mittlerweile lebe ich in Berlin. Gelesen und geschrieben habe ich schon immer, durch die Serie »Twin Peaks« kam dann eine sehr ernsthafte und intensive Beschäftigung mit Bildern hinzu. Seither interessiere ich mich sehr für Narrationen, für die Wirkungsweisen von Fiktionen, für die Verbindungen von Text und Bild, für Adaptions- und Erzählstrategien. Deshalb habe ich im Jahr 2011 meinen Blog Zeilenkino ins Leben gerufen, anfangs mit der Absicht, mich sehr ausführlich mit Literaturverfilmungen zu befassen, sehr schnell kam dann die Kriminalliteratur hinzu. Außerdem schreibe ich auch beruflich über Filme und (Kriminal-)Literatur und bin seit Anfang 2015 Jurymitglied bei der Krimibestenliste.
- Wann kamen Sie das erste Mal mit Kriminal- bzw. Spannungsliteratur in Berührung?
»Die allererste Berührung war die umfangreiche TKKG-Sammlung meines älteren Bruders, richtig gefunkt hat es dann aber durch Filme.«
SH: Die allererste Berührung war die umfangreiche TKKG-Sammlung meines älteren Bruders, richtig gefunkt hat es dann aber durch Filme. Durch »Die Spur des Falken« verfiel ich Bogart und entdeckte dann Chandler. Da bekam ich eine Ahnung, dass Kriminalliteratur mehr ist als Tätersuche. Diese Ahnung wurde dann durch Hammett und insbesondere Manchette bestätigt.
- Warum Krimis? Was ist Ihrer Meinung nach so faszinierend an diesem Genre?
SH: Der Kriminalroman schaut genau hin – auf Verflechtungen, auf Interessen, auf Begierden, auf Entwicklungen –, er wühlt im Schmutzigen und dabei bleibt ihm eine erzählerische Freiheit, die das Genre sehr vielfältig macht.
- Wie würden Sie den deutschen Krimimarkt charakterisieren? Bestehen Unterschiede zum englischen Krimimarkt (UK und USA)? Welche?
SH: Auf dem deutschen Krimimarkt tummeln sich – wie auch auf anderen Krimimärkten – gute und weniger gute Autor_innen, manche bedienen vermeintlich verkaufsfördernde Genrekonventionen, andere hinterfragen sie. Und ich glaube, in dieser Hinsicht gibt es nicht so viele Unterschiede zum englischen Krimimarkt.
- Welcher Autor/Autorin hat Sie in letzter Zeit besonders beeindruckt? Warum?
SH: Immer wieder beeindruckt mich Dominique Manotti, weil sie sehr klug und präzise Gesellschafts- und Machtstrukturen offenlegt und aus einer klar erkennbaren Haltung heraus sehr spannende Romane schreibt. Zuletzt beeindruckt hat mich Jérôme Leroy mit »Der Block«, weil sich hier gesellschaftliche sowie politische Gegenwart und Vergangenheit hervorragend miteinander verschränken und sich sehr schön zeigt, wie mit dem roman noir Geschichte untersucht und geschrieben werden kann.
- Welchen bisher unentdeckten englischsprachigen Krimiautor/in würden Sie dem deutschen Publikum unbedingt empfehlen?
SH: Unentdeckt ist sie nicht, aber bisher wurde von Megan Abbott erst ein Buch übersetzt: »Das Ende der Unschuld« (dt. von Isabel Bogdan), erschienen bei Kiepenheuer & Witsch. Hier wünsche ich mir sehr, dass sie eine zweite Chance erhält, sich hierzulande zu etablieren. (Krimiscout stimmt voll zu)
- Gibt es so etwas wie Modeerscheinungen im Krimigenre? Wenn ja, welche Mode herrscht gerade?
SH: Im Krimigenre gibt es – wie in der Literatur insgesamt – natürlich Modeerscheinungen, wenngleich manche vielleicht weniger modern sind als sie sich geben. Momentan fallen mir vor allen die »Gone Girl«/»Girl on a train«-Klone auf, die vom englischsprachigen Markt herüber schwappen – und teilweise ein erschreckend einfaches, klischeebehaftetes und traditionelles Frauenbild transportieren.
- Vor dem Hintergrund des aktuellen Weltgeschehens, glauben Sie, dass der Politkrimi in nächster Zeit zunehmend an Bedeutung gewinnen wird?
Kriminalromane (und auch Kriminalfilme) hinterfragen und reflektieren die Gegenwart, sie zeigen Missstände auf und kennzeichnen Entwicklungen.
SH: Jede Zeit verlangt nach politischen Kriminalromanen und jedes Buch ist politisch. Kriminalromane (und auch Kriminalfilme) hinterfragen und reflektieren die Gegenwart, sie zeigen Missstände auf und kennzeichnen Entwicklungen. Deshalb muss der Politkrimi nicht an Bedeutung gewinnen, er hat sie schon. Aber ich glaube, dass sich im Moment die Erkenntnis wieder neu festsetzt, wie wichtig es ist, politisch zu sein – und das geht über die Literatur hinaus.en.
- Gibt es für Sie Handlungsorte, Motive, Konstellationen oder Handlungsstrukturen, die Sie besonders reizen? Warum?
SH: Nein, eigentlich nicht. Ich mag es, wenn ein_e Autor_in sorgfältig arbeitet, sich im Genre auskennt und Risiken eingeht. Wenn Kriminalromane aus einer Wut, einem Aufbegehren gegen die Zustände der Gegenwart und der Gesellschaft geschrieben sind. Wenn sie von einem Erleben zeugen und auf die Schattenseiten des Daseins verweisen.
- Krimis haben in der Literaturszene immer noch ein wenig das Image des Schmuddelkindes, will sagen, sie gelten als trivial. Wie, glauben Sie, könnte man dem Krimi als Genre zu mehr Souveränität verhelfen?
Wer heute noch diese Vorurteile pflegt und nicht sehen will, welche großartigen Autor_innen es im Genre gibt, dem kann man eigentlich nur zwei, drei Bücher in die Hand drücken und sagen »Lies!«
SH: Eigentlich fühle ich mich ganz wohl in der Schmuddelecke … Aber ehrlich gesagt: Wer heute noch diese Vorurteile pflegt und nicht sehen will, welche großartigen Autor_innen es im Genre gibt, dem kann man eigentlich nur zwei, drei Bücher in die Hand drücken und sagen »Lies!«. Anders wäre ihm nicht zu helfen.
Krimiscout bedankt sich Sonja Hartl für das Interview und wünscht ihr weiterhin viel Erfolg.
Weiterführende Informationen
Zeilenkino-Blog
Bildnachweis
Beitragsbild (c) Sonja Hartl, mit freundlicher Genehmigung