Den Auftakt unserer Reihe »Fahnderprofile« macht Thomas Wörtche, der zu den bekanntesten Krimiexperten der deutschen Verlags- und Medienlandschaft zählt. Er meint: »Wer Kriminalliteratur per se für trivial hält, belegt damit seine eigene Borniertheit oder seine mangelnde Kenntnis von Literatur und Kunst«. Wie wahr!
- Steckbrief Thomas Wörtche
Thomas Wörtche, der für seine umfangreiche Kenntnisse und Aktivitäten im Bereich Kriminalliteratur bekannt ist und unter anderem ein eigenes Krimiprogramm beim Suhrkamp Verlag herausgibt, studierte Germanistik und Philosophie in Bochum und Konstanz.
Über sich sagt er: ‚‚Bereits seit fast dreißig Jahren beschäftige ich mich nun professionell mit Crime Fiction in allen medialen Darreichungsformen und mit den dazugehörigen Realitäten. In verschiedenen Funktionen: Als Kritiker, Literaturwissenschaftler und Herausgeber. Mal das eine mehr, mal das andere. Zur Zeit gerade sehr praktisch als Herausgeber. Und ich kümmere mich noch um ein paar andere Künste, um Bilder, Texte und Musik, schwerpunktmässig aus Afrika, Lateinamerika und Asien. Und um Theorien, die über den ‚kulturellen und sozialen Wandel‘ nachdenken.“
- Wann kamen Sie das erste Mal mit Kriminal- bzw. Spannungsliteratur in Berührung?
In den späten 1960ern, frühen 1970ern. Einstiegsdrogen: Eric Ambler, Ross Thomas, Len Deighton, Chester Himes, Jean-Patrick Manchette, John Le Carré.
‚‚Kriminalliteratur hat alle ästhetischen Freiheiten, ohne auf das Erzählen zu verzichten‘‘
- Warum Krimis? Was ist Ihrer Meinung nach so faszinierend an diesem Genre?
Kriminalliteratur funktioniert global, trotz aller lokaler Spezifik. Kriminalliteratur hat alle ästhetischen Freiheiten, ohne auf das Erzählen zu verzichten. Kriminalliteratur stellt die „bösen Fragen“, die auf die Kerne der jeweiligen Gesellschaften zielen. Egal, wie vermittelt sie das jeweils tut – sie tut es.
- Wie würden Sie den deutschen Krimimarkt charakterisieren? Bestehen Unterschiede zum englischen Krimimarkt (UK und USA)? Welche?
Einerseits ist der deutsche Markt zumindest tendenziell offener für andere Sprachen und Kulturkreise als der anglophone Markt. Andererseits ist er ablehnender gegenüber Reference Books und andere Formen der intelligenteren Sekundärbearbeitung. Beide Märkte sind allerdings schon längst einer betriebswirtschaftlich induzierten »Produktoptimierung« verfallen und nur in marginaleren Segmenten innovationsfreudig. Die U/E-Schere im Genre ist ein Problem für so ziemlich alle Märkte, strukturell sehe ich da keine großen Unterschiede.
- Welcher Autor/Autorin ist Ihnen besonders ans Herz gewachsen? Warum?
An der Stelle müsste ich jetzt ein paar Seiten mit Namen vollschreiben, alles andere wäre grob ungerecht. Natürlich gehören dazu alle Autorinnen und Autoren, die ich je verlegt habe und herausgeben werde. Besonders spannend im Moment finde ich Konzepte wie die von Sara Gran, Candice Fox, Zoë Beck, Katja Bohnet, Lisa Sandlin und und und …. Also alles, was riskant ist und neue Wege geht.
»Die U/E-Schere im Genre ist ein Problem für so ziemlich alle Märkte«‘
- Welchen bisher unentdeckten englischsprachigen Krimiautor/in würden Sie dem deutschen Publikum unbedingt empfehlen?
Dringend müsste man sich zum Beispiel um Bill James kümmern oder um Jake Arnott oder Jack O´Connell, die hier nie etwas geworden sind.
- Gibt es so etwas wie Modeerscheinungen im Krimigenre? Wenn ja, welche Mode herrscht gerade?
Moden sind traditionellerweise die Geißel des Genres. Me-too-Bücher und Klone aller Art, die jeder Markterfolg hinter sich herzieht. Unübersehbar zur Zeit die Schenkelklopfer, die sinnlosen Regio-Grimmis, die ganzen Albernheiten wie Gemüse- und Tiergrimmis, immer noch und erschöpflich Serial-Killer und Forensiker, „Frauenspannung“ und so weiter …. Moden haben manchmal eine sehr lange Dünung und existieren so lange, bis die Formate endgültig ausgelutscht sind. Ich habe zu viele kommen und gehen sehen als dass mich das noch irgendwie interessieren könnte. Höchstens als epistemologische Datenbank.
»Moden sind traditionellerweise die Geißel des Genres«‘
- Vor dem Hintergrund des aktuellen Weltgeschehens, glauben Sie, dass der Politkrimi in nächster Zeit zunehmend an Bedeutung gewinnen wird?
Kriminalliteratur ist immer politisch. Gerade da, wo sie das eigentlich gar nicht sein will. Harmlos ist sie nie. Sie transportiert immer ordnungspolitische Vorstellungen, sie hat immer mit »gut« und »böse«, »richtig«, »falsch«, »legal“, »illegal« zu tun. Und das sind alles keine kontextfreien, letzten Endes auch von der Politik mit-definierte Kategorien. Selbst wenn sie nur Zeichenoperationen sind. Aber: Sie meinen sicher, ob Politik als »Thema« wichtiger wird? Ja, deutlich, weil solche Plots oder solche Texte sich einmischen können, wenn politische Gegebenheiten nicht nur Hintergrund, sondern Handlungselemente sind. Deswegen war meiner Meinung nach der Polit-Thriller schon immer die Königsdisziplin der Kriminalliteratur. Und es sieht so aus, als würde er es wieder werden.
- Gibt es für Sie Handlungsorte, Motive, Konstellationen oder Handlungsstrukturen, die Sie besonders reizen? Warum?
Alles, was sich ins Handgemenge mit Realitäten begibt, egal wo. Das ist tausendmal spannender als die üblichen Whodunit-Deklinationen oder wer kriegt den irren Slasher? Texte, in denen Figuren nur Funktionen der Zeichenoperationen sind, können ganz hübsch sein, reizen mich aber nicht besonders.
- Krimis haben in der Literaturszene immer noch ein wenig das Image des Schmuddelkindes, will sagen, sie gelten als trivial. Wie, glauben Sie, könnte man dem Krimi als Genre zu mehr Souveränität verhelfen?
Einspruch: Wer Kriminalliteratur per se für trivial hält, belegt damit seine eigene Borniertheit oder seine mangelnde Kenntnis von Literatur und Kunst. Ich habe keine Lust mehr, mich mit solchen uninformierten Positionen auseinanderzusetzen. Wer glauben möchte, die Erde sei eine Scheibe, den kann ich daran nicht hindern. Allerdings – betrachtet man die Gesamtproduktion, betrachtet man die unendlichen Albernheiten der Selbstdarstellung von »Krimi« und vieler ihrer sowas von eminenten Autorinnen und Autoren, all die lustischen Events, die witzischen Präsentationen, die Myriaden von Wannabe-Autoren und »Krimi-Feinschmeckern«, diese ganze Marketing-Kultur, auch die Bereitschaft von »Kritik« alle qualitativen Unterschiede nur auf »Meinung« zu bügeln – dann kann ich niemanden verübeln, diese ganze Krimi-Blase tatsächlich für trivial zu halten. Souveräne Autorinnen und Autoren von souveräner Kriminalliteratur sowie seriöse Kriminalliteratur erkennt man daran, dass sie diesen ganzen Fidelwipp nicht nötig haben. Das Genre hält sich – trotz allem Unfug, den es treibt und der mit ihm getrieben wird – schon ganz schön lange. Und die seriösen Texte sowieso.
Weiterführende Informationen
Thomas Wörtche bei CulturMag
Thomas Wörtche bei Kaliber38
Bildnachweis
Beitragsbild (c) Christine Fenzl (mit freundlicher Genehmigung)