Nur hier bei Krimiscout: die exklusive deutsche Leseprobe des spannenden Romans Save Yourself.
[wppdf id=’1311′]
(…) Am nächsten Morgen drangen immer wieder Geräusche zu ihm herauf, Caro oder Mike wuselten im Haus herum, eine Tür schlug zu, unten lief der Fernseher. Irgendwann schlief er ein. In einem wirren Traum blitzte hellbraunes Fell im Scheinwerferlicht auf, und ein gefühlter Aufprall ließ ihn mit wild pochendem Herzen hochschrecken. Minuten später war er wieder weggedämmert.
Als er endlich wach genug war, um aufzustehen, waren die anderen schon auf der Arbeit. Verkatert stopfte er eine Ladung Wäsche in die Maschine, machte sich ein Sandwich mit Spiegelei und einer Scheibe Schmelzkäse obendrauf. Dank seines desolaten Zustands schien ihm die vergangene Nacht weit weg, was ihm gerade recht war, denn er hatte keine Lust, sich näher damit zu beschäftigen. Nach dem Sandwich bekam er plötzlich Lust auf eine Cola, also schnappte er sich kurzerhand die Autoschlüssel und verließ das Haus. Blinzelte ins grelle Licht und sah den Wagen, der noch immer dort stand, wo er ihn abgestellt hatte: vor dem Nachbarhaus. Auf der Windschutzscheibe lag ein dicker Schmutzfilm. Bei diesem Anblick brach das, was er vorübergehend vergessen hatte, mit einer solchen Wucht über ihn herein, dass er dachte, nein danke, auf Cola kann ich gut verzichten.
Den Rest des Tages kamen ihm immer wieder Zweifel an seinem Entschluss, zu Fuß zur Arbeit zu gehen, doch als er am Abend um halb elf aus dem Haus kam, jagte ihm der erneuten Anblick des Wagens eine Gänsehaut über den Rücken, und da die Nacht mild war, marschierte er einfach los. So schlimm war es gar nicht. In der Nacht erkannte man die abgeblätterte Wandfarbe der Häuser in der Division Street nicht so deutlich, und im Licht des Halbmonds auf dem ansonsten unbeleuchteten Highway wirkten auch die Verkehrsschilder verschwommener. Eigentlich waren seine Haare schon wieder zu lang, doch als der Wind ihm durch die Nackensträhnen strich, bekam er glatt Lust, nie wieder zum Frisör zu gehen. Wie im Traum fühlte es sich an, zu so später Stunde unterwegs zu sein, wenn alles schon geschlossen hatte: als gäbe es keine Zeit mehr und auch keine Regeln.
Als er um Mitternacht den Laden betrat, riss ihn das kaltweiß flackernde Neonlicht abrupt aus seiner Traumwelt. Sein bonbonfarben gestreiftes Arbeitshemd war schon durchgeschwitzt, und die Haare klebten ihm im Nacken. Sein Kollege quittierte ihm den Kassenstand und machte sich dann aus dem Staub. Nachdem er das Geld gezählt hatte, schloss Patrick die Kasse und wischte den Tresen ab. Es kam ihm vor, als hätte er Zoney’s erst vor ein paar Minuten verlassen, als wäre er durch ein Loch in der Gegenwart in ein Universum gefallen, das nur aus diesem Laden bestand, immer und ewig Zoney’s.
,,You can check out anytime you like, but you can never leave“
Als der Cop wie jede Nacht hereinkam, um ein Rubbellos und ein Snickers zu kaufen, hatte Patrick schon zwei Packungen Kakao intus, und das Gefühl, am Rand seines eigenen Grabs zu stehen, hatte sich langsam verflüchtigt. Wäre es Wochenende gewesen, hätte er in den ersten Stunden seiner Schicht ein paar und später, gegen vier, wenn die letzten Clubs schlossen, eine ganze Horde Betrunkene im Laden gehabt, danach wäre es bis zum Sonnenaufgang ruhig geblieben. Aber es war Donnerstagnacht, da lagen sogar diejenigen, die sonst ihren Gehaltsscheck versoffen, vor zwei Uhr im Bett, damit sie es ein letztes Mal zur Arbeit schafften, bis das echte Wochenende endlich anfing. So verlassen, wie der Highway da draußen dalag , hätte er glatt ein Nickerchen mitten auf der Straße halten können. Der Classic-Rock-Sender im Radio lief in Endlosschleife, Musik und Kondomwerbung im Wechsel. Am Anfang hatte es bei Zoney’s noch einen CD-Spieler gegeben, da konnte er bei der Arbeit Black Sabbath hören. Die laute, aggressive Musik wirkte wie ein Gegenmittel gegen die Stille und die Helligkeit und gab ihm trotz der Bonbonfarben das Gefühl, er selbst zu sein. Es war, als würde er damit jedem Idioten, der hier um drei sein Red Bull kaufte, einen kleinen Teil seines Innersten aufs Ohr drücken. Das fiel auf und erinnerte ihn daran, dass die Welt da draußen echt und lebendig war. Aber eines Morgens hatte er die CD im Spieler vergessen, und bei seiner nächsten Schicht fand er anstelle des Geräts eine Information über angemessene Musik am Arbeitsplatz vom Manager, und das war’s gewesen. Wieder hatte man ihm einen Teil seiner Persönlichkeit weggehobelt, aber dafür bekam er einen Mindestlohn und kannte fast alle Stücke der Eagles auswendig. You can check out anytime you like, but you can never leave. Kluge Worte, Mann, verdammt kluge Worte.
Gegen sechs kam ein bisschen Schwung in den Laden, und um sieben befand er sich bereits in einer Art Wachkoma, untermalt vom Klimpern des Wechselgelds und dem Piepsen der Kasse. Erst als jemand zu ihm sagte: ,,Ich hab dir ’nen Kaffee mitgebracht“, schreckte er unsanft aus seiner Trance.
Vor dem Tresen stand, einen Pappbecher in der Hand, das Mädchen mit den Goth-Klamotten. Heute trug sie ein lilafarbenes Kleid, darüber mehrere Gürtel. Ihre Stiefel waren lächerlich klobig, wahrscheinlich hatte sie bis nach Pittsburgh fahren müssen, um sie zu bekommen. Die Tasche über ihrer Schulter stammte offensichtlich aus einem Second-Hand-Laden.
Sie grinste. ,,Peace, okay?“
Patrick verzog keine Miene. Stattdessen wandte er sich der nächsten Kundin zu, eine Frau in Leggings und Sneakers, und sagte: ,,Sie sind dran.“ Während er den Preis ihrer Dose Slim-Fast eintippte und ihr die gewünschte Schachtel Kim Slim Size holte, beobachtete das Goth-Mädchen die Szene mit nahezu anthropologischem Interesse.
,,Lebensformen, zu denen man sich nicht entwickeln sollte, Demonstrationsobjekt A“, bemerkte sie, nachdem die Frau gegangen war.
,,Verpiss dich!“
,,Du hast keine Schuld an Ryans Tod. Du hast ihn nicht umgebracht“
Das Mädchen verzog das Gesicht. ,,Chill mal. Willst du Milch und Zucker in deinen Kaffee? Ich habe nichts reingetan, weil ich nicht wusste, was du nimmst. Der ist gut. Von Starbucks.“ Als er immer noch keine Anstalten machte, ihr den Becher abzunehmen, schnitt sie eine Grimasse. ,,Mann, du siehst das total falsch. Ich treibe keine Psychospielchen mit dir. Du hast keine Schuld an Ryans Tod. Du hast ihn nicht umgebracht.“
Das konnte doch alles nicht wahr sein! Eigentlich stand er hier gar nicht, zwischen Müsliriegeln und Mini-Salamis, verdiente keinen Mindestlohn und hörte sich auch nicht an, was sie von sich gab. ,,Nächster“, sagte er und verkaufte einem fetten Typen einen großen Kaffee und einen Schoko-Doughnut, der so überflüssig war wie ein Kropf.
,,Lass uns noch mal von vorn anfangen“, sagte sie und strich sich über ihr ohnehin gestriegeltes schwarzes Haar. ,,Ich heiße Layla. Wie in dem Song. Weißt schon: you got me on your knees.“
Dieses Mädchen. Dieses Kind von der Highschool mit ihren dämlichen Stiefeln, den Klamotten aus der Addams Family, und der bleichen Haut, weiß wie Mehl. Ein wandelndes Klischee: Goth aus Pillsbury. Er wünschte, sie würde sich ritzen gehen, sich Ritalin reinziehen oder das machen, was bescheuerte Goths so trieben, wenn sie nicht vor seinem Tresen rumstanden und Sachen sagten wie: Du hast keine Schuld an Ryans Tod. Du hast ihn nicht umgebracht.
(Auszug aus Save Yourself, (c) Kelly Braffet)
Copyright deutsche Übersetzung: Andrea O’Brien, 2015