Ein Heißluftballon schwingt sich in die Lüfte. Unter ihm die Wälder Northumberlands. Ein altes Gemäuer. Und da, mitten in der Einsamkeit, ein Mann. Aber was tut der da? Und was ist mit der Frau, die vor ihm am Boden liegt? Sharon Boltons neuer Thriller »Dead Woman Walking« dürfte so manchem Spannungsfan den Schlaf rauben.
Vorsicht vor Heißluftballons
Wer bisher mit dem Gedanken spielte, irgendwann einmal in einen Heißluftballon zu steigen, mag nach der Lektüre dieses Romans nicht mehr so erpicht darauf sein. Eine solche Reise unternimmt nämlich auch die junge Jessica Lane mit ihrer Schwester Isabel. Doch diese als Geschenk zum vierzigsten Geburtstag gedachte Überraschung endet in einer Tragödie.
Der Ballon schwebt über den dunklen, einsamen Wäldern Northumberlands nahe der schottischen Grenze, als die Ausflügler und ihr Pilot unvermittelt Zeugen eines Mordes werden. Der Name des Täters, Patrick Faa, ist schnell enthüllt, denn hier geht es nicht darum, wer den Mord begangen hat, sondern warum er geschah und vor allem, wer noch daran beteiligt war. Faa ist Mitglied einer weit verzweigten Familie von Travellern, die offenbar in irgendwelche kriminellen Machenschaften verwickelt sind. Faa merkt rasch, dass er bei seiner Tat beobachtet wurde, und er sorgt dafür, dass kein Zeuge die Ballonfahrt lebend übersteht.
Krimifans kennen das: Es gibt eben Bücher, über die man einfach nicht zu viel verraten darf.
Glaubt er zumindest. Schon bald stellt sich heraus, dass eine Frau überlebt hat und sich seither auf der Flucht befindet. Wer diese Frau ist und warum sie sich nicht bei der Polizei meldet, erfährt der gespannte Leser erst im zweiten Drittel dieses perfide geplotteten Romans.
Ungewöhnlicher Plot, spannend erzählt
So verlockend es wäre, sich noch ausführlicher über die komplexe Handlung dieses Spannungstitels auszulassen, so unfair wäre es. Nur soviel: Sharon Bolton belässt es nicht bei einem Twist, nach diesem Buch habe ich sie zu meiner persönlichen Twist-Heldin erkoren. In dieser Geschichte ist nämlich nichts, was es scheint. Nicht nur das: Bolton befasst sich in diesem Krimi mit mehreren Themen, auf die ich aus Spannungsgründen an dieser Stelle nicht näher benennen möchte. Krimifans kennen das: Es gibt eben Bücher, über die man einfach nicht zu viel verraten darf.
Es gibt Backstorys, Nebenstorys, Ermittler und Leser werden in so manches Bockshorn gejagt, doch Bolton ist ein Profi, und sie verfranst sich nicht.
Lassen wir also den Inhalt und konzentrieren uns auf das, was diesen Titel außerdem lesenswert macht: Bolton hat ihre Zutaten wohldosiert. Die Handlung ist hochkomplex, aber die Autorin hat die Fäden jederzeit in der Hand. Es gibt Backstorys, Nebenstorys, Ermittler und Leser werden in so manches Bockshorn gejagt, doch Bolton ist ein Profi, und sie verfranst sich nicht. Das Timing ist perfekt. Wo andere Krimis zunehmend Seiten schinden, die der gelangweilte Leser dann mit Überfliegen straft und im schlimmsten Fall ganz aussteigt, packt Boltons Thriller den Leser am Schlaffitchen und lässt ihn erst am Ende wieder los. So muss ein Krimi sein!
Vielschichtige Figuren
Auch hinsichtlich der Figuren soll hier nicht zu viel verraten werden. Im Mittelpunkt der Handlung stehen die beiden Schwester Isabel und Jessica. Isabel, so erfahren wir bereits auf den ersten Seiten, ist Nonne, doch ihre Lebensentscheidung hat offenbar wenig mit tiefer Gläubigkeit zu tun. Jessica selbst bliebt dem Leser zunächst ein Rätsel. Sie überlebt als Einzige den Ballonabsturz, doch statt sich Hilfe zu suchen, begibt sie sich auf die Flucht. Ist die junge Frau so traumatisiert, dass sie sich nicht traut, zur Polizei zu gehen? Und wer ist dieser skrupellose Mörder Patrick Faa? Was treibt ihn dazu, eine regelrechte Hetzjagd auf die Ballonfahrer zu veranstalten? Was hat seine Familie mit dem Mord zu tun?
Es gibt viele Fragen, die der Krimiscout an dieser Stelle nicht aufklären kann. Das ist aber auch nicht weiter schlimm, denn es lohnt sich, die Antworten selbst herauszufinden. »Dead Woman Walking« ist ein hochspannender Roman und ein echter Lesetipp.
(c) Andrea O’Brien, 2017