Sieben Jahre schrieb der Autor M.O. Walsh, der als Dozent für Anglistik und Creative Writing an der University of New Orleans unterrichtet, an seinem Debütroman My Sunshine Away. Die Geschichte weist zwar kaum Parallelen zu seinem eigenen Leben auf, doch der Autor wurde durch eine persönliche Erfahrung inspiriert.
M.O. Walsh im Interview mit Krimiscout
KS: Ist ein Buch erst einmal erschienen, hat der Autor keine Kontrolle mehr darüber. Wie stehen Sie zu dieser These?
MOW: Schwierige Frage. Natürlich gibt man mit Unterzeichnung des Verlagsvertrags einen Teil seiner Rechte am Text ab. Das Buch wird dann zu einer Ware, die andere verkaufen. Das meine ich wörtlich. Der Verlag hat vielleicht ganz andere Vorstellungen davon, wie der Roman die Aufmerksamkeit der Leser erreichen kann. Nicht selten entstehen zwischen Autor und Verlag Meinungsverschiedenheiten, z.B. wegen der Covergestaltung oder der Art, wie der Verlag das Buch auf dem Markt positionieren will. Möglicherweise bewirbt der Verlag das Buch als Mystery-Roman oder Thriller, obwohl man selbst das Buch als Belletristik empfindet. Aber solche Differenzen sind seltener als gemeinhin angenommen, denn in den meisten Fällen haben Autor und Verlag dasselbe Ziel: Das Buch soll seinen Autor repräsentieren. Daher verliere ich als Autor vielleicht die Kontrolle über mein Buch, weil es durch die Unterzeichnung des Verlagsvertrags zur Ware wird, aber das, was sich zwischen den Buchdeckeln befindet, kann mir keiner nehmen. Außerdem habe ich ohnehin nur die Kontrolle über die Worte und die Geschichte selbst – und diese beiden Aspekte sind mir die Wichtigsten, das Herz des Romans sozusagen. Ich hoffe, dass alle Autoren so empfinden. Das Herz eines Romans muss in der Obhut des Autors bleiben. Ist das nicht möglich, gibt es auch keinen Grund, Bücher zu schreiben.
„Wenn man sich lange auf ein einzelnes Projekt konzentriert hat und es dann loslassen muss, um etwas völlig Neues anzufangen, bekommt man so ein seltsames Gefühl“
KS: Würden Sie sagen, Sie gewinnen mit jedem Buch mehr Selbstvertrauen?
MOW: Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil, ich werde mit jedem Schreibprojekt unsicherer und verwirrter. Sieben Jahre habe ich an meinem Roman My Sunshine Away gearbeitet, aber in den vergangen zwei Jahren habe ich lediglich eine einfache Kurzgeschichte geschrieben, die vielleicht nicht mal gut ist. Wenn man sich lange auf ein einzelnes Projekt konzentriert hat und es dann loslassen muss, um etwas völlig Neues anzufangen, bekommt man so ein seltsames Gefühl, das ich nicht in Worte fassen kann. Ich kenne viele Autoren, die damit kein Problem haben, aber ich tue mich damit sehr schwer. Mehr Selbstbewusstsein als Schriftsteller habe ich bekommen, weil ich jetzt weiß, dass mein Buch höchstwahrscheinlich verlegt wird, wenn ich mein Bestes gebe. Das ist ein gutes Gefühl. Viele Autoren müssen lange warten, bis sie endlich mit ihren Romanen endlich Erfolg haben, egal, wie hart sie daran arbeiten. Ich weiß genau, wie sich das anfühlt. Deshalb setze ich mich dafür ein, dass unveröffentlichte Autoren eine Chance bekommen.
KS: Wie sieht Ihr Arbeitszimmer aus?
MOW: Wenn ich nur ein Arbeitszimmer hätte! In unserem Haus gibt es drei Zimmer, aber kein Büro. Also schreibe ich an meinem Laptop im Esszimmer, wenn die Familie außer Haus ist oder schon im Bett liegt. Früher hatte ich ein Arbeitszimmer, aber damit war’s vorbei, als unsere beiden Kinder kamen. Glücklicherweise sind mir meine Kinder wichtiger als ein eigenes Büro.
„Es ist der größte Irrtum, zu glauben, dass Schriftsteller besonders kluge Menschen seien.“
William Gay, amerikanischer Autor
KS: Gibt es einen Mythos über Schriftsteller, den Sie gern entlarven würden?
MOW: Der Autor William Gay sagte einmal: „Es ist der größte Irrglaube, dass Schriftsteller besonders kluge Menschen seien“. Ich stimme ihm zu. Man muss weder intelligent noch gebildet sein, um gute Romane zu schreiben. Gute Schriftsteller haben einen besonderen Blick auf die Welt und bemühen sich, diese ihnen eigene Betrachtungsweise in für ihre Leser verständliche Worte zu fassen. Viele meinen außerdem, Autoren würden ein glamouröses Leben führen und von Lesung zu Lesung durch die Welt jetten. Auch das ist ein Irrglaube. In Wirklichkeit sitzen Autoren 99% ihrer Zeit allein am Schreibtisch und wundern sich, warum ihre Worte auf Papier nicht so wunderbar wirken, wie sie es sich erhofft hatten.
KS: Wie viel Zeit verbringen Sie täglich mit dem Schreiben? Arbeiten Sie nach einem strengen Zeitplan, oder hängt Ihr Pensum eher von der Tagesform ab? Und wie bringen Sie das Schreiben unter einen Hut mit Familie und Arbeit?
MOW: Bei der Arbeit an meinem Roman My Sunshine Away war ich sehr streng. Ich schrieb jeden Morgen von vier bis sechs, also bevor die Kinder aufstanden. In den frühen Morgenstunden arbeite ich am effektivsten, denn da hat mich der Alltag mich noch nicht eingeholt, ich muss mit niemandem reden und keine E-Mails beantworten. Mittlerweile habe ich extrem viel um die Ohren, weil ich als Dozent für Kreatives Schreiben an der Universität von New Orleans arbeite. Diese Aufgabe erfordert viel Zeit, die mir jetzt fürs Schreiben fehlt. Und wenn ich zu Hause bin, verbringe ich meine Zeit lieber mit der Familie als allein am Esstisch, deshaIb arbeite ich nur, wenn alle weg sind, die Kinder in der Schule und meine Frau auf der Arbeit. Ich glaube, die meisten Autoren finden irgendwie Zeit fürs Schreiben, egal, wie ihr Alltag aussieht, weil Schreiben ein Teil von ihnen ist. Wenn sie nicht schreiben, fehlt ihnen etwas. Wenn ich längere Zeit nicht schreiben kann oder kein Projekt habe, werde ich unausstehlich – was meiner Familie überhaupt nicht gefällt. Also nehme ich mir so oft wie möglich Zeit dafür. Außerdem geschieht ein großer Teil der kreativen Arbeit im Kopf, beim Autofahren oder Kochen, und nicht, wenn ich am Computer sitze. Gerade, wenn ich nicht tippe, denke ich über verschiedene Szenen oder Figuren nach. Auch das gehört zum Schreiben.
„Die meisten Schriftsteller sind im Grund ihres Herzens Kontrollfreaks, die ihre Zwanghaftigkeit beim Schreiben ausleben“
KS: Macht Ihnen das Schreiben immer Spaß?
MOW: Es sind immer wieder andere Aspekte des Schreibens, die mir Freude bereiten. Als ich jünger war, blieb ich mit größtem Vergnügen ganze Nächte auf und dachte mir Geschichten aus. Die Urfassung einer Geschichte zu schreiben macht mir mittlerweile nicht mehr so viel Spaß. Momentan macht es mir mehr Freude, meinen Text zu überarbeiten. Aber diese Vorliebe fürs Überarbeiten ist nicht untypisch. Die meisten Schriftsteller sind im Grund ihres Herzens Kontrollfreaks, die ihre Zwanghaftigkeit beim Schreiben ausleben. Wir kontrollieren Sätze, Absätze, Seiten. Überarbeiten ist demnach die extremste Form der Kontrolle.
KS: Wie wichtig ist der Ort in Ihren Romanen?
MOW: Der Ort spielt doch in allen Romanen eine wichtige Rolle! Am liebsten schreibe ich über Louisiana, weil ich mich hier am wohlsten fühle. Das heißt allerdings nicht, dass ich mein Leben lang nur über Louisiana schreiben möchte. Ich weiß nicht, worüber ich noch schreiben werde – deshalb ist mein Leben ja so spannend. Ganz allgemein ausgedrückt charakterisiert der Ort die Figuren. Der Herkunftsort einer Figur und deren Haltung dazu vermittelt dem Leser einen Einblick in diese Figur und hilft ihm, sie zu verstehen. Ja, der Ort bildet den Kern jedes fiktionalen Texts.
KS: My Sunshine Away hat mich sehr an einen meiner Lieblingsromane, „Wer die Nachtigall stört“ von Harper Lee, erinnert. Hat dieser Roman Sie beeinflusst? Haben auch andere Romane oder Schriftsteller Sie inspiriert?
MOW: Das empfinde ich als riesiges Kompliment! „Wer die Nachtigall stört“ ist ein wunderbares Buch , das ich allerdings nicht bewusst im Kopf hatte, als ich meinen Roman schrieb. Die Ähnlichkeiten zwischen den beiden Geschichten sind vermutlich dem Umstand geschuldet, dass beide an ähnlichen Orten spielen und sich mit ähnlichen Themen beschäftigen. Ich glaube, die meisten Autoren werden von unzähligen anderen Schriftstellern beeinflusst. Einen direkten Einfluss auf meine schriftstellerische Arbeit hatten Autoren aus den Südstaaten der USA wie Lewis Nordan, Barry Hannah und Flannery O’Connnor, aber beeindruckt haben mich auch europäische Autoren wie Günter Grass, Italo Calvino und Gabriel Garcia Marquez. Ich bin offen für alle, die mich durch ihre Sprache bewegen und meinen Horizont erweitern.
KS: Was kommt als Nächstes?
MOW: Momentan arbeite ich an verschiedenen Projekten, ich schreibe Geschichten, überarbeite ältere Manuskripte und beschäftige mich mit neuen Ideen für zwei neue Romane. Es fehlt mir manchmal, nicht, wie bei My Sunshine Away, an einem einzigen Projekt arbeiten zu können, deshalb hoffe ich, dass ich mich bald wieder an einer Sache festbeißen kann.
Krimiscout bedankt sich für die interessanten Antworten und wünscht M.O. Walsh viel Erfolg!
Dt. Übersetzung: Andrea O’Brien
© Krimiscout 2015
Bildnachweis
Beitragsbild (c) Sam Gregory Photography
Bild 1: (c) M.O. Walsh, Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors
Krimiscout Service
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