David Park ist ein hochtalentierter und mehrfach ausgezeichneter nordirischer Schriftsteller, der in Deutschland bisher leider noch keine Beachtung fand. Sein 2004 erschienener Spannungsroman Swallowing the Sun spielt zwar in Belfast, bedient aber keineswegs das Genre des konventionellen Politthrillers. In einem emotionalen Kraftakt zieht Park eindringliche Parallelen zwischen häuslicher Misshandlung und staatlicher Gewalt. In der von Armut und Chancenlosigkeit geprägten Klassengesellschaft Nordirlands entfaltet das Gift der Gewalt eine besonders zerstörerische Wirkung, weil Menschen sich gezwungen fühlen, alltägliche Misshandlungen schweigend zu erdulden.
‚‚Dieser Roman spielt zwar in Belfast, bedient aber keineswegs das Genre des konventionellen Politthrillers“
Der lange Schatten der Gewalt
Martin Waring heißt die Hauptfigur dieses Romans, der in Belfast kurz nach Ende des Nordirlandkonflikts spielt. Obwohl der nordirische Bürgerkrieg auch Martins Leben geprägt hat, spielen politische Ereignisse in diesem Roman keine tragende Rolle. Es geht dem Autor vielmehr darum zu zeigen, dass Familien nicht nur Opfer, sondern auch Brutstätten einer gewalttätigen Gesellschaft sein können.
Der erste Teil der Romanhandlung zeigt den als Kind vom Vater misshandelten Martin als Getriebenen seiner unterdrückten Wut. Martins Ehe ist zwar nicht frei von Spannungen, aber durchaus liebevoll. Seine Kinder Rachel und Tom könnten unterschiedlicher nicht sein. Rachel ist ein hochbegabter, allseits beliebter Teenager mit Aussicht auf eine vielversprechende akademische Karriere, Tom ein übergewichtiger, computerspielsüchtiger Außenseiter. Martin hat seine traumatische Kindheit allerdings nur scheinbar hinter sich gelassen. Mit stoischer Hingabe geht er seiner Tätigkeit als Museumswächter nach, verbringt den größten Teil seines Tages damit, Ausstellungsstücke zu betrachten und Menschen zu beobachten. Täglich dreht er seine Runden durchs Museum, kontrolliert Säle, Vitrinen, Türen. Dieses Ritual vermittelt ihm ein Gefühl von Sicherheit.
‚‚Auf den letzten hundert Seiten entwickelt sich dieser packende psychologische Spannungsroman zu einem temporeichen, hochkarätigen Thriller‘‘
Wie viel kann eine Familie ertragen?
Doch der Schein trügt. Schon bald wird klar, dass Martin eine tickende Bombe ist und seine unterdrückte Wut eines Tages explodieren wird. Kontinuierlich erhöht der Autor den Druck auf seinen Helden, bis ihn schließlich zwei verheerende Ereignisse an den Rand des Erträglichen katapultieren. Als seine kleine Familie zu zerbrechen droht, muss Martin sich seiner Vergangenheit stellen. Auf den letzten hundert Seiten entwickelt sich dieser packende psychologische Spannungsroman zu einem temporeichen, hochkarätigen Thriller.
Nordirland als Bühne
Nordirland und seine turbulente Geschichte funktionieren in diesem Buch wie eine Bühne, die den Handlungen und Entscheidungen der Protagonisten einen Kontext bietet, der sie aber auch einschränkt. Der Bürgerkrieg und sein Erbe bilden nur den Hintergrund für das, was Parks wirklich interessiert: zwischenmenschliche Beziehungen in der Gesellschaft und in der Familie. Dabei bildet er die psychologische und emotionale Stimmung jener Zeit in Belfast ab, ohne explizit über die politische Situation zu schreiben.
Ungewöhnliche Erzähltechnik, präzise Prosa
Park arbeitet mit einer ungewöhnlichen Technik. Viele Szenen sind nicht chronologisch erzählt und fordern so die ganze Aufmerksamkeit des Lesers. Dank ihres perfekt gespannten Handlungsbogens und der akkuraten Struktur entfaltet die Geschichte eine große emotionale Wucht. Die auktoriale Erzählperspektive wird in weiten Teilen des Romans durch Martin fokalisiert, bestimmte Ereignisse aber werden jeweils aus der Perspektive der daran beteiligten Nebenfiguren geschildert. So erhält der Leser einen tieferen Einblick in Denkweise und Persönlichkeit der anderen Figuren. Die Sprache des Romans ist ernst, streckenweise elegisch, wunderbar rhythmisch und mit wiederkehrenden Motiven durchsetzt. Der Satzbau ist klar und stringent, Metaphern sind eher selten und Zierrat wie überflüssige Adjektive fehlt ganz. Wie sein Landsmann John McGahern verweigert sich Park jeglicher Effekthascherei, und mit seiner nüchternen, präzisen Schreibweise erinnert er gelegentlich an J.M. Coetzee.
Emotionale Wucht
David Park ist ein hochtalentierter Schriftsteller, der nicht nur spannende Geschichten erzählt, sondern sie als Allegorien für universelle Themen entwickelt. Doch Vorsicht! Martin Warings Schicksal hat eine große emotionale Wucht und geht den Lesern an die Nieren.
Swallowing the Sun ist kein einfaches Buch, es ist weder gemütlich noch leicht zugänglich, aber es ist verdammt eindrucksvoll geschrieben. Unbedingt lesen!
Der Autor
David Park wurde 1953 in Belfast, Nordirland, geboren. Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in County Down, Nordirland. Park wurde bereits mehrfach ausgezeichnet, im seinem Erscheinungsjahr 2004 schaffte es Swallowing the Sun auf die Shortlist für den Irish Novel of the Year Award, dem Kerry Group Fiction Award 2004 und dem Christopher Ewart-Biggs Memorial Prize. Sein kürzlich erschienener Roman The Light of Amsterdam stand auf der Shortlist for den International IMPAC Prize, und sein aktuelles Werk The Poets‘ Wives gewann die Auszeichnung Belfast’s Choice for One City One Book 2014.
- Bisher erschienen:
- The Poet’s Wives, Bloomsbury (2014)
- The Light of Amsterdam, Bloomsbury (2014)
- The Truth Commissioner, Bloomsbury (2008)
- Swallowing the Sun, Bloomsbury (2004)
- The Big Snow, Bloomsbury (2002)
- Stone Kingdoms, Phoenix House (1996)
- The Rye Man, Cape (1994)
- The Healing, Cape (1992)
- Oranges from Spain, Cape (1990)
© Krimiscout 2015
Buchinfo
Titel: Swallowing the Sun Format: Taschenbuch Verlag und Erscheinungsjahr: Bloomsbury Paperbacks, 2012 Seitenzahl: 257
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