In seinem turbulenten, sprachlich innovativen Debüt »Dublin Seven« entführt Frankie Gaffney seine Leser in die leere Kunstwelt der irischen Hauptstadt des so genannten »Celtic Tiger« und verarbeitet dabei seine eigenen Erfahrungen am Rand der Gesellschaft.

Koksmetropole Dublin

Frankie Gaffney ist eine neue Stimme in der irischen Krimiszene. Sein Debüt zeichnet sich vor allem durch eine um Authentizität bemühte Erzählweise aus. Gaffney, der ähnlich wie sein Held im Ghetto der Dubliner Northside aufwuchs, während sein Vater im Gefängnis saß, schildert den Aufstieg und Fall des jungen Drogendealers Shane im authentischen Jargon der urbanen Unterschicht, der geneigten Lesern bereits aus dem Romanen von Tana French und Roddy Doyle bekannt ist. Wurde dieser typische Sound bei den beiden bekannteren Autoren nur angedeutet, benutzt Gaffney ihn durchgängig für alle handelnden Personen.

Aus der Gosse ans Licht

Frankie Gaffney siedelt seinen Roman in einem Milieu an, das dem Irland-Touristen meist verborgen bleibt. Der junge Shane verbringt seine Tage mit Herumhängen, von der Vorstellung einer Ausbildung, schulisch oder handwerklich, hat er sich weitestgehend verabschiedet, und zwar einfach, weil er »keinen Bock drauf« hat. Die Versuche seiner Schwester, ihn von der vorprogrammierten kriminellen Laufbahn abzubringen, scheitern vollends, als er in den frühen Morgenstunden nach einer exzessiven Sauftour einen älteren Drogendealer kennenlernt, der den etwas naiven jungen Mann als Kurier anheuert. Von da an macht sich Shane als kleiner und später größerer Koksdealer Karriere und gibt in seiner Clique schon bald den Ton an.

Er bezieht mit seinem Kumpel ein luxuriöses Apartment und erobert das Herz der jungen Elizabeth, die er auf seine plumpe Weise liebt. Doch sein Erfolg weckt Neid und bleibt auch anderen, weniger erfolgreichen Konkurrenten nicht verborgen. Die Situation spitzt sich zu, als Shane erfährt, dass Elizabeth früher mit einem seiner Gegenspieler zusammen war und den Kontakt nicht ganz abgebrochen hat. Eifersucht und Paranoia heizen die explosive Gemengelage weiter an…

Gaffneys Debüt zeigt eine Gesellschaft zwischen Industrienation und Entwicklungsland, die den Verlust des »alten Irlands« bejubelt und die Schattenseiten des viel zu schnell eingeläuteten »neuen Irlands« in seiner künstlichen, leeren Filterblase nicht wahrhaben will.

Debüt mit Schwächen

Obwohl Gaffneys Debüt mit Rasanz und einer erfrischenden Sprache punktet, sollten die Schwächen des Romans hier nicht unerwähnt bleiben. Die Geschichte um den Aufstieg und Fall des kleinkriminellen Shane ist nicht zufällig im Jahr 2005 angesiedelt, auf dem Höhepunkt der »Celtic Tiger« genannten Periode des kurzzeitigen wirtschaftlichen Aufschwungs in Irland. In dieser Zeit waren Kredite billig, Koks reichlich vorhanden und die Zukunft schien rosig. Doch profitiert haben davon  – wie so oft – nur die Reichen und Privilegierten, die Armen hingegen gerieten als Verlierer, die einfach ihre »Chancen nicht nutzten«, weiter ins soziale Abseits.

Gaffneys Debüt zeigt eine Gesellschaft zwischen Industrienation und Entwicklungsland, die den Verlust des »alten Irlands« bejubelt und die Schattenseiten des viel zu schnell eingeläuteten »neuen Irlands« in seiner künstlichen, leeren Filterblase nicht wahrhaben will. Shane, seine Freunde und seine koksenden Kunden sind ein Produkt dieser Zeit: Getrieben von Konsumgier und dem Wunsch, alles zu erleben und zu besitzen, auch wenn man es gar nicht braucht.

Shane und seine Freunde machen leider keine erkennbare Entwicklung durch, und auch die wenigen weiblichen Figuren tragen nichts zur Geschichte bei, sie bleiben Randfiguren, die von den Männern wie Objekte behandelt werden, ausschließlich dazu da, ihre sexuellen Triebe zu befriedigen.

Schwächen weist das Debüt vor allem an den Stellen auf, wo Gaffneys auktoriale, gebildete Stimme zu sehr in den Vordergrund tritt und die auf unbedingte Authentizität ausgelegte (und dabei oft enervierende) Sprache der handelnden Personen stört, die ja allesamt der Unterschicht im Dubliner Norden entstammen. Oft rutscht er ins Klischeehafte ab und vermittelt dem Leser dadurch den Eindruck, seine Figuren seien durchweg dümmliche Loser, die zwar dem Teenageralter entwachsen, aber auf der Stufe von Sechszehnjährigen stehen geblieben seien. Shane und seine Freunde machen leider keine erkennbare Entwicklung durch, und auch die wenigen weiblichen Figuren tragen nichts zur Geschichte bei, sie bleiben Randfiguren, die von den Männern wie Objekte behandelt werden, ausschließlich dazu da, ihre sexuellen Triebe zu befriedigen.

Was fehlt, ist ein Kern, eine übergreifende Aussage, ein den Autor umtreibendes Anliegen

Bis zur Hälfte des Romans entsteht beim Leser der Eindruck, man beobachte einen jungen Mann und seine Freunde bei einem ausgedehnten Alkohol- und Drogenexzess, an dessen Ende eine unvermeidliche Gewaltorgie steht. Was fehlt, ist ein Kern, eine übergreifende Aussage, ein den Autor umtreibendes Anliegen. Anders als bei Joseph Knox, der sein erheblich tiefgründigeres Debüt »Sirens« ebenfalls im Drogenmilieu angesiedelt hat, ergibt sich aus Gaffneys Schilderungen des permanenten Alkohol- und Drogenrausches, mit schnellem Sex und ständig präsenter Gewalt kein greifbarer Grundkonflikt.

Das dem Roman voranstellte Zitat aus Shakespeares »Wie Ihr Wollt«, das wohl unter anderem auf die Struktur des Romans verweisen soll, wirkt vor diesem Hintergrund überheblich, spielt der berühmte Urheber doch eindeutig in einer anderen Liga als der Autor von »Dublin Seven«.

Leider liefert dieses in vielen Publikationen gefeierte Debüt in meinen Augen nicht viel mehr als eine Aneinanderreihung von Szenen, bevölkert von zwielichtigen, etwas dümmlichen Bösewichten, kommentiert von den wenig tiefsinnigen Monologen einer ewig pubertierenden Hauptfigur.

Fazit: Kann man lesen, muss man aber nicht.

(c) Andrea O’Brien, 2017