Harry Bingham, Autor der furiosen Thrillerserie um Heldin Fiona Griffiths, arbeitete zunächst als Investmentbanker, bevor er sich als Autor selbstständig machte. Heute lebt der Vierzigjährige mit Frau und Kindern in Oxfordshire/UK.


Harry Bingham im Interview mit Krimiscout

KS: Ist ein Buch erst einmal erschienen, hat der Autor keine Kontrolle mehr darüber. Wie stehen Sie zu dieser These?

HB: Im Grunde geht es bei dieser Frage ja um zwei Aspekte: einen künstlerischen und einen kommerziellen. Früher hatte ich oft den Drang, meine bereits gedruckten Bücher aus dem Regal der Buchhandlungen zu ziehen und noch mal zu überarbeiten. Selbst wenn es bereits alle Lektorate und Fahnenkorrekturen durchlaufen hatte, stieß ich darin immer wieder auf Sätze, die mich furchtbar nervten, weil sie irgendwie falsch klangen.

‚‚Wenn mich heute was im gedruckten Buch was ärgert – tja, dann tut es das eben. Morgen ärgert mich vielleicht was ganz anderes‘‘

Mittlerweile sehe ich das etwas gelassener. Ich habe irgendwann gelernt, dass so ein Buch wahrscheinlich nie fertig sein wird, und die „finale“ Fassung eines Buches nur eine von zig möglichen Varianten darstellt. Wenn mich heute was im gedruckten Buch ärgert – tja, dann tut es das eben. Morgen ärgert mich vielleicht was ganz anderes.

Die kommerzielle Seite dagegen wartet mit ganz anderen Herausforderungen auf. Die meisten Leser wissen nicht, dass Autoren ihre Bücher eigentlich für immer verkaufen. Gehört ihr Manuskript einem Verlag, haben Autoren damit auch ihre Rechte verkauft und somit ihr Mitspracherecht. Handelt es sich um einen guten, umsichtigen und leidenschaftlichen Verlag, ist das alles kein Problem. Wenn ein Buch allerdings „versagt“, also innerhalb eines bestimmten Zeitfensters von ca. sechs Wochen nicht die gewünschten Verkaufszahlen einfährt, entzieht der Verlag ihm meist von da an sämtliche Unterstützung. Das erscheint mir grundfalsch. Glücklicherweise gibt es mittlerweile erste, wenn auch zögerliche, Bestrebungen, diese Vorgehensweise zu ändern.

KS:  Würden Sie sagen, Sie gewinnen mit jedem Buch mehr Selbstvertrauen?

HB (überlegt): Hmmm. Gelinde gesagt plagen mich selten Selbstzweifel. Ich zweifle also auch nicht an meinen grundsätzlichen schriftstellerischen Fähigkeiten. Wenn man allerdings, wie ich, mehrere Bände einer Serie schreibt,  ist es gelegentlich schwierig, dasselbe immer wieder anders zu präsentieren. Meine Leser erwarten zwar einen Fiona-Griffiths-Roman, möchten aber doch immer wieder was Neues erleben.

Bis jetzt habe ich mich noch nicht wiederholt, aber mir ist vollkommen klar, dass meine Romane irgendwann an einen Punkt stoßen werden, wo sich einzelne Aspekte der Handlung  wiederholen oder manches vielleicht abgenutzt wirkt. Ich kann mich noch an eine Szene in einem Roman von Lee Childs erinnern,  das war ungefähr Band 16 seiner Serie um Jack Reacher. Auf dem Höhepunkt liefert sich der über einsneunzig große Reacher in einer unterirdischen Kammer einen furiosen Kampf mit einem nur knapp einsfünfzig großen, verrückten Mexikaner. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bewundere Lee Childs …, aber an einer solchen Szene erkennt man, dass eine Serie schon ziemlich lange existiert.

,,Man will seine Leser nicht überfordern oder mit unglaubwürdigen Wendungen konfrontieren‘‘

KS: Wie gefällt Ihnen das Schreiben als Vollzeitbeschäftigung? Geht es Ihnen manchmal auf die Nerven?

HB: Nein, ich find’s super. Klar ist das manchmal harte Arbeit. Es ist vor allem schwierig, eine komplexe, aber nicht zu komplizierte Handlung zu entwickeln – man will seine Leser ja nicht überfordern oder mit unglaubwürdigen Wendungen konfrontieren. Das ist kein Zuckerschlecken. Aber es macht mir Spaß. Ich habe beim Schreiben einige der schönsten Momente meines Lebens erfahren. Die Schneeszene im zweiten Band  (KS: Stimmt. Eine absolute Wahnsinnsszene!) oder der Höhepunkt in The Strange Death Of Fiona Griffiths –  wenn ich solche Passagen schreibe, bin ich glücklich.  

KS: Wo schreiben Sie?

Ein Interview mit Harry Bingham

Wo Harry Bingham seine Thriller schreibt

HB (seufzt): O weh. Diese Frage stellt man mir oft, und die Antwort ist mir immer peinlich. Weil ich nämlich kein echtes Schreibzimmer habe. Ich schreibe auf dem Laptop, und das tue ich nach Lust und Laune, wo es mir gerade gefällt. Meist verschlägt es mich tatsächlich ins Büro – ein heller Raum mit Blick auf den Garten. Doch ich arbeite auch im Wohnzimmer, in der Küche, im Café, im Zug oder sonstwo. Wenn es die Temperaturen und das Wetter irgendwie zulassen, sitze ich sowieso mit einem Becher Tee in meiner kleinen Nische im Garten und lasse Fiona über die Seiten tanzen.     

KS: Gibt es einen Mythos über Schriftsteller, den Sie gern entlarven würden?

HB: Es gibt, glaube ich, viele Menschen, die dem Mythos von der gequälten Künstlerseele aufsitzen. Für sie ist Kunst nur dann authentisch und wichtig, wenn sie als Produkt eines inneren Kampfes entsteht und der Künstler an den Rand dessen gerät, was die menschliche Seele ertragen kann. Vielleicht trifft das ja sogar auf viele Schriftsteller zu. Meist erfordert das Schreiben einfach nur harte Arbeit und Konzentration – und natürlich eine gehörige Prise Talent.

Ehrlich gesagt verstehe ich Autoren nicht, die über das Schreiben jammern. Wenn es für euch so schlimm ist, dann lasst es doch einfach! Es gibt weiß Gott leichtere Wege, Geld zu verdienen. Wenn jemand nicht schreiben will, soll er eben Buchhalter werden.

KS: Fiona Griffiths, die charismatische Heldin Ihrer erfolgreichen Thrillerserie, leidet unter einer schweren psychischen Störung namens Cotard-Syndom, und Sie schreiben Fionas Geschichte aus der personalen Erzählperspektive (Ich-Form). Wie war und ist es für Sie, sich während des Schreibens in die Denkweise einer psychisch kranken Person hineinzuversetzen? 

HB (grinst breit): Ha! Hervorragende Frage. Meist fragen mich die Leute, ob es mir schwerfalle, als Frau zu schreiben. (Die Antwort lautet übrigens: Nein, eigentlich nicht.) Aber Ihre ist definitiv die interessantere Frage.

‚‚Wir sind doch alle ein bisschen verrückt. Kein Mensch ist so normal, wie er scheint.“ 

Man stelle sich das vor: Ich bin ein ziemlich normaler Typ über vierzig. Eine psychische Krankheit hatte ich noch nie, zumindest litt ich noch nie unter einer Psychose oder unter ähnlich drastischen psychischen Störung wie Fiona. Und trotzdem verstehen Fiona und ich uns blendend. 

 

Ein Interview mit Harry Bingham

Wir sind doch alle ein bisschen verrückt, findet Harry Bingham

Es macht mir einen Heidenspaß, als Fiona zu schreiben, und ich finde es überhaupt nicht schwer, mich in sie hineinzuversetzen, wenn sie das Gefühl für sich verliert, unberechenbar reagiert oder abstruse Gedanken hegt.

Wir sind doch alle ein bisschen verrückt. Kein Mensch ist so normal, wie er scheint. Im Alltag reißen wir uns mehr oder weniger zusammen, um nach außen hin „normal“ zu wirken. Ich habe nichts weiter getan, als mir vorzustellen, was passieren würde, wenn dieses (nahezu automatische) Verhalten nicht selbstverständlich wäre. Die Leser mögen Fiona wahrscheinlich, weil sie eine extremere Variante ihrer selbst darstellt: Jemand, der mit denselben Problem zu kämpfen hat, allerdings unter erheblich erschwerten Bedingungen.

KS: Wie kamen Sie auf die Idee zu Ihrer wunderbaren Heldin, und woher nehmen Sie den Stoff Ihrer klugen Romane?

‚‚Ich wollte schon immer eine ungewöhnliche Heldin erschaffen, die sich von den vielen versoffenen, abgeklärten, alten Cops unterscheidet.“

HB: Die Figur der Fiona hat sich über einen Zeitraum von fast zwei Jahren entwickelt und ist mir zunehmend ans Herz gewachsen. Ich wollte schon immer eine ungewöhnliche Heldin erschaffen, die sich von den vielen versoffenen, abgeklärten, alten Cops unterscheidet.

Zwei zusätzliche Aspekte haben Fiona dann zu der gemacht, die sie heute ist. Die erste Idee kam mir, als ich mich näher mit der Cotard-Krankheit auseinandersetzte und beschloss, eine Polizistin zu erschaffen, die sich durch ihre psychische Verfassung permanent auf dem schmalen Grat zwischen Leben und Tod bewegt. Diese Ausgangssituation hat sich für meine Spannungsromane so wunderbar bewährt, dass ich mich heute noch frage, warum keiner vor mir darauf gekommen ist. Der zweite wichtige Aspekt entwickelte sich, als ich daranmachte, meiner Heldin eine Stimme zu geben. Hat man Fiona einmal gehört, kennt man sie auch. Und es bereitet mir tierische Freude, zu schreiben, wie Fiona spricht.

Die Ideen zur Handlung zu entwickeln ist überwiegend Handwerk. Ich mag keine übermäßig blutigen Geschichten oder solche, die eigentlich nur von sexueller/sadistischer Grausamkeit erzählen, deswegen handeln meine Bücher überwiegend von komplexen Betrugsdelikten, die den Tätern schnelles Geld bringen sollen. Manchmal sind diese Verbrechen so realistisch und plausibel, dass ich mich frage, ob sie nicht tatsächlich irgendwo begangen werden.

KS: Was passiert bei ihrem Projekt The Writers‘ Workshop?

HB: Der Writers‘ Workshop ist die größte Literaturagentur Großbritanniens. Wir stellen Nachwuchsautoren, die Hilfe mit ihrem Projekt benötigen, einen erfahrenen Schriftsteller an die Seite, der ihr Manuskript liest und ihnen detaillierte Ratschläge gibt. Wir bieten außerdem Onlinekurse für Autoren an und organisieren die größte Schriftstellerkonferenz des Landes.

Leider haben wir keine Angebote für deutsche Autoren. 

KS: Macht Ihnen das Schreiben immer Spaß?

HB: Meist tut es das tatsächlich. Aber damit will ich nicht behaupten, dass es einfach wäre. Vor allem, wenn ich einen schwierigen Teil meiner Geschichte beackere, bin ich nach ein paar Stunden richtig erschöpft. Allerdings finde ich, dass harte Arbeit und Vergnügen oft Hand in Hand gehen. Wenn ich ein Kapitel aufs Papier bringe, das mir schon lange im Kopf herumgespukt ist, und es geht mir leicht von der Hand, ach, das ist eine wunderbare Erfahrung! Wie wenn man sich auf dem Fahrrad einen Berg hinaufgequält hat und dann ohne zu treten ins Tal rast.

KS: Was kommt als Nächstes für Sie und Fiona Griffiths?

HB: Ich bin dem Erscheinungsdatum meiner Bücher (in UK und erst recht in Deutschland) weit voraus. Momentan arbeite ich an Folge 6 meiner Serie um Fiona Griffiths, obwohl erst vier Bände in England und zwei Bände in Deutschland erschienen sind. Verraten will ich nur so viel: in Band 4 (This Thing Of Darkness) holt Fiona sich ziemlich nasse Füße…

Krimiscout bedankt sich für die interessanten Antworten und wünscht Harry Bingham viel Erfolg!

Dt. Übersetzung: Andrea O’Brien

© Krimiscout 2016

Bildnachweis

Beitragsbild © Paul Stuart, (Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Orion Verlags)

Bild 1 © Harry Bingham (Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors)

Bild 2 © Nuala Bingham (Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors)


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