…wie sind Sie eigentlich zum Übersetzen gekommen?

Wie so viele: Über Umwege und glückliche Zufälle. Im Englischen gibt’s ja den quasi unübersetzbaren Begriff „serendipity“, der dafür steht, dass man eine Sache sucht, dabei aber eine viel bessere findet, an die man nie gedacht hatte. Das trifft‘s vielleicht ganz gut.

Der entscheidende Moment war bei mir wohl, als ich nach langem Hadern mein (letztes) Dissertationsprojekt über Bord geworfen hatte und jemand mir von Aufbaustudiengang Literarisches Übersetzen an der LMU München erzählte. Übersetzt hatte ich damals schon ein wenig nebenbei, allerdings vorwiegend Pressetexte und akademische Aufsätze ins Englische.

Auf die Idee, dass irgendjemand auch Romane übersetzen muss und ich vielleicht so ein Jemand sein könnte, war ich vorher nie gekommen, obwohl ich mit Englisch aufwuchs und immer schon begeistert von guten Storys war. Der Aufnahmetest für den Studiengang gab dann die Initialzündung. Keine Ahnung, ob das jetzt gut genug war, dachte ich mir danach, aber sch*ße macht das Spaß!

Zum Glück war‘s wohl ganz okay, ich durfte von erfahrenen KollegInnen wahnsinnig viel lernen und bekam ein knappes Jahr nach dem Abschluss schon den ersten Roman angeboten.

Und wie speziell zu Krimis?

Letztlich auch durch Zufall. Im Sommer 2013 bot mir ein Lektor von Heyne, den ich vom Baseball kannte, den besagten ersten Roman an. Ich hätte damals so ziemlich alles übersetzt – einerseits musste ich die Miete zahlen, andererseits war ich schlicht heiß drauf, mich überhaupt an Geschichten zu versuchen. Zu meinem Glück ging es jedoch um Richard Langes großartigen Neo-Noir-Thriller »Angel Baby«. Später folgten Thriller wie Jax Millers »Freedom’s Child« oder Nicholas Searles kürzlich auf Deutsch erschienenes »Das alte Böse«.

Es gibt sicher spezialisiertere Krimiübersetzer als mich, aber einen guten Krimi übersetze ich immer wieder gern. Persönlich stehe ich ja sehr auf die klassischen exzentrischen Meisterdetektive von Sherlock Holmes bis Mr Monk, doch das Genre hat natürlich in den verschiedensten Richtungen unglaublich viel zu bieten.

Was – würden Sie sagen – sind die Herausforderungen beim Übersetzen von Spannungsliteratur?

Ich weiß gar nicht, ob sich das so allgemein sagen lässt. Schließlich ist auch Spannungsliteratur erst mal einfach Literatur und genauso vielseitig. Da gibt es zum einen natürlich amerikanische Hardboiled-Autoren, bei denen man möglichst knapp und dreckig übersetzen sollte, andererseits aber zum Beispiel Autorinnen wie die Französin Fred Vargas, deren eher barocken Stil man ja nicht einfach »hartkochen« kann, bloß weil sie Krimis schreibt.

Letztlich geht es doch immer darum, dem jeweiligen Text gerecht zu werden und den LeserInnen das größtmögliche Lesevergnügen zu ermöglichen, egal ob Noir, Nackenbeißer oder Nobelpreiskandidat.

Wenn ich die Frage mal auf »spannende Szenen« einschränke, könnte man vielleicht sagen, dass man dabei besonders darauf achten muss, nicht zu umständlich zu werden, und die wichtigen Informationen in den Sätzen so anzuordnen, dass sie die gewünschte Wirkung entfalten. Aber letztlich geht es doch immer darum, dem jeweiligen Text gerecht zu werden und den LeserInnen das größtmögliche Lesevergnügen zu ermöglichen, egal ob Noir, Nackenbeißer oder Nobelpreiskandidat.

Was erlebten Sie z.B. bei der Arbeit an dem kürzlich von Ihnen übersetzten Titel »Das alte Böse« als besonders schwierig?

Man hört oft das Vorurteil, ältere ÜbersetzerInnen könnten qua Alter keine »jungen« Texte übersetzen, weil ihnen der Zugang zu Jugendsprache etc. fehle. So pauschal halte ich das für ziemlichen Quatsch, habe aber bei »Das alte Böse« die umgekehrte Erfahrung gemacht, zumal die Hauptfiguren beide über achtzig sind. Da musste ich manchmal doch ganz schön knobeln, lauschen und feilen, bis die Figurenrede mir halbwegs treffend vorkam.

Mit Jugendkultur und -sprache ist man (wenigstens in verwässerter Form) ja in der heutigen Medienlandschaft doch irgendwie dauernd konfrontiert, während die Lebenswelt älterer Menschen jenseits von Werbung für Corega-Tabs eher ausgeblendet wird. An »Das alte Böse« mag ich daher auch gerade, dass es in diese Lücke sticht und von einem knallharten Psychoduell zweier Senioren erzählt – und von ihrem Alltag.

Arbeitsplatz von Jan Schönherr, im Interview mit Krimiscout

Welcher Titel aus Ihrem Oeuvre hat Ihnen besonders viel Freude bereitet? Warum?

Ui, da fällt’s mir echt schwer, mich für einen zu entscheiden. Aus dem Sachbuchbereich wohl Mark Haskell Smiths »Naked at Lunch«, eine Gonzo-Reportage über Nudismus, einfach weil Smith darin einerseits leicht und humorvoll, andererseits aber auch ehrlich interessiert, informiert und vorurteilsfrei über eine Subkultur schreibt, die sonst meist nur für dumme Witzchen taugt.

Aus dem Bereich Belletristik hat mich zuletzt besonders Francis Spuffords »Golden Hill« begeistert, das diese Woche unter dem Titel »Neu-York« auf Deutsch erscheint. Eine tolle, verspielte Story über race, class, gender und gay sex, die im New York des Jahres 1746 spielt und geschrieben ist wie ein Roman aus dieser Zeit. Das ins Deutsche zu übertragen, hat teilweise ganz schön Nerven gekostet, war aber auch ein riesiges Vergnügen.

Unter den Krimis würde ich »Freedom’s Child« hervorheben, weil Jax Miller darin sprachlich und erzählerisch keine Gefangenen macht, sondern richtig auf die Kacke haut und Genreklischees derart fantastisch übertreibt, dass man sie dafür nur lieben kann.

Gibt es Titel und/oder Autoren aus dem Bereich Spannung, die Ihrer Meinung nach unbedingt noch für den deutschen Markt übersetzt werden sollten?

So gut überblicke ich die internationale Spannungsszene leider nicht. Allerdings gibt es von Richard Lange noch zwei Bände voll wunderbarer Kurzgeschichten und zwei weitere Romane (der neueste, »The Smack«, erscheint demnächst in den USA). Eine der Kurzgeschichten, »Bank of America«, gibt es zumindest als E-Book schon auf Deutsch, den Rest könnte man ruhig mal anpacken. Die Romane erst recht.

Richard Lange kann einfach schreiben, hat ein wunderbares Gespür für die Verlierer der Gesellschaft und ist ein Meister der Grautöne. Und spannend ist das Ganze sowieso.

Was sollten Leser unbedingt über Übersetzer wissen?

ÜbersetzerInnen sind nicht bloß gut, wenn man sie nicht bemerkt. Jede Übersetzung ist auch eine eigene künstlerische Schöpfung.

Dass wir nicht bloß möglichst dünnwandige Membrane oder schlaglochfreie Brücken sind, die einen Text reibungslos aus einer Sprache in die andere flutschen lassen. Übersetzen ist wie alle Künste ein Handwerk, aber eben auch Kunst.

Wir lesen und interpretieren unsere Originale wohl so genau wie niemand sonst, eignen sie uns an und schreiben sie in der Zielsprache noch einmal. Wer sich also beim Lesen einer Übersetzung zum Beispiel über die tolle Sprache Don DeLillos oder die Wortspiele eines Terry Pratchett freut, freut sich in Wahrheit zumindest mit über die Sprachgewandtheit Frank Heiberts oder den Humor von Regina Rawlinson.

Selbstverständlich wären wir nichts ohne die Originale. Dasselbe gilt aber auch für Schauspieler oder klassische Musikerinnen. Und wie jedes Theaterstück durch seine Inszenierungen weiterlebt, sich ausdifferenziert und mit der Zeit geht, so leben die Werke der Weltliteratur – von »Twilight« bis »Ulysses« in ihren Übersetzungen. Rumms, pathetischer Abschluss. Der Punkt ist: ÜbersetzerInnen sind nicht bloß gut, wenn man sie nicht bemerkt. Jede Übersetzung ist auch eine eigene künstlerische Schöpfung. Die kann man mal mehr, mal weniger gelungen finden, darf sie aber ruhig als solche anerkennen.

Krimiscout bedankt sich bei Jan Schönherr und wünscht ihm weiterhin viel Erfolg.


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Beitragsbild (c) Philip Jauch, mit freundlicher Genehmigung