Chris Brookmyre, in Liebhaberkreisen als Autor der kultverdächtigen Krimireihe um den leidgeprüften Journalisten Jack Parlabane bekannt, liefert mit »Black Widow/Dein Ende« ein Meisterstück ab, das mühelos als Standalone-Roman gelesen werden kann. Spannend? Und wie!
Meet »Scalpelgirl« aka »Bladebitch«
Die Chirurgin Dr. Diana Jager ist eine recht unsympathische Zeitgenossin. Eine ehrgeizige Kampfemanze, die ihren Frust über den Machismo im Medizinbetrieb unter dem Pseudonym »Scalpelgirl« auf ihrem Blog unverblümt in die Welt posaunt und sich dafür den wenig charmanten Spitznamen »Bladebitch« eingehandelt hat. Doktor Diana Jager kann es nicht leiden, wenn die Dinge nicht so laufen, wie sie es sich vorstellt. Wer es sich mit ihr verscherzt, hat nichts zu lachen. Eine echte Zicke eben.
Doch das macht nichts, denn schon zu Beginn des neuen Romans von Christopher Brookmyre mit dem bezeichnenden Titel »Black Widow/Dein Ende« steht diese unbeliebte Person als Verdächtige vor Gericht. Sie soll ihren Mann Peter Elphinstone getötet haben, den sie erst kurz zuvor geheiratet hatte. Klarer Fall, denkt der Leser. Passt.
»Klarer Fall, denkt der Leser. Passt.«
Das einzig Mysteriöse an der Sache sind die Umstände, die zum Tod von Peter Elphinstone führten. Ein Unfall auf nächtlicher Straße, der Wagen des Opfers kommt von der Fahrbahn ab und landet im Fluss. Nur weil eine Zeugin die Polizei ruft, wird der Wagen überhaupt entdeckt. Er ist leer, der Fahrer vermutlich ertrunken, die Leiche von der Strömung mitgerissen worden.
Unfall oder Mord?
Zunächst gehen auch die junge Polizistin Ali Kazmi und ihr neuer Partner von einem tragischen Unfall aus.
Allein die kaltherzige Reaktion der Witwe erscheint verdächtig. Sie empfängt die Beamten in den frühen Morgenstunden, ist aber schon angezogen und reagiert kaum überrascht von der Nachricht, dass ihr Mann vermutlich ums Leben gekommen ist. Zu allem Überfluss scheint sie auch noch zu wissen, wo genau ihr Mann von der Straße abgekommen ist. Für ihr blaues Auge hat sie auch nur eine recht fadenscheinige Erklärung.
Gab es in der Unfallnacht etwa einen tödlichen Streit? Ist die Witwe möglicherweise erleichtert, ihren Gatten losgeworden zu sein?
Verdächtig oder nicht, weitere Ermittlungen bleiben zunächst aus. Dass es in diesem Fall keine Leiche gibt, erschwert eine mögliche Strafverfolgung ohnehin.
Jack Parlabane ermittelt wieder
So weit, so gut. Wäre da nicht Jack Parlabane, ein abgehalfterter Journalist mit zwielichtigem Ruf, dessen Karriere im Eimer ist und dessen Frau zu allem Überfluss die Scheidung eingereicht hat. Dieser Jack, so erfahren wir zu Beginn des Romans, ist Schuld daran, dass Diana Jager wegen Mordes vor Gericht steht. Wie es dazu kam, erzählt er dem Leser selbst.
Journo Jack ist Brookmyre-Fans bereits aus anderen Romanen der Serie bekannt. Im Laufe seiner Karriere hat er viel mitgemacht und einige Fehlentscheidungen getroffen. Die letzte, so erfahren wir, hat ihn dorthin verfrachtet, wo er zu Beginn des Romans sitzt: in den Schlamassel. Seine Frau Sarah hat die Scheidung eingereicht, er wohnt wieder dort, wo seine Ehe mit ihr begann, und sein Ruf als Journalist ist ruiniert. Umso erfreuter ist er daher, als ihn die charismatische Lucy Elphinstone bittet, den Unfall ihres Bruders Peter genauer zu untersuchen. Und so nehmen seine Ermittlungen ihren Lauf.
War die frisch geschlossene Ehe zwischen Diana und Peter wirklich so glücklich? Ist Diana eine unsympathische Streberin oder eine Psychopathin, die aus Unzufriedenheit einen Mord begangen hat? Und was hat es mit Dianas Vergangenheit auf sich? Stück für Stück setzt Parlabane dieses Puzzle zusammen, und sein Verdacht erhärtet sich.
Zwei Erzählerstimmen, zwei Sichtweisen
Mehrere Aspekte machen diesen Thriller zu einem nachhaltigen Leseerlebnis. Brookmyre bietet seinen Lesern Spannungsliteratur vom Feinsten. Die üblichen Klischees, ungenaue Wendungen und abgedroschene Formulierungen sucht man hier vergebens. Besonders raffiniert ist die Erzählstrategie, denn die liefert eine doppelte Sichtweise auf die Begebenheiten vor und nach dem Unfall. Jack Parlabane entwickelt durch Gespräche mit Jagers Bekannten, Freunden und Feinden ein bestimmtes Bild der Verdächtigen. Diana Jager hingegen erzählt diese Episoden aus ihrem Blickwinkel. Parlabane erhält zunehmend den Eindruck, Diana Jager sei berechnend, kalt und rücksichtslos, eine vom Ehrgeiz getriebene, leicht paranoide Psychopathin, die aus enttäuschter Liebe ihren Mann getötet und die Tat als Unfall getarnt haben soll. Doch jedes Puzzleteil hat eine Rückseite, und die liefert uns die zweite Erzählstimme. Liest man die Geschichte aus Diana Jagers Sicht, ergibt sich plötzlich ein völlig anderes Bild.
»Besonders raffiniert ist die Erzählstrategie, denn die liefert eine doppelte Sichtweise auf die Geschichte«
In den von Diana Jager aus personaler Perspektive erzählten Passagen spricht eine zutiefst gekränkte, empfindsame Frau, die Tag für Tag in einem von Männern dominierten Beruf bestehen muss, deren Blog gehackt und Identität enttarnt wurde, und die nach vielen einsamen Jahren glaubte, endlich einen passenden Partner gefunden zu haben.
Der Leser erfährt hautnah, wie Peter Dianas Herz mit Umsicht, Verständnis und Einfühlungsvermögen im Sturm eroberte, sich aber bald nach der Eheschließung in einen anderen Menschen verwandelte. Endete diese Beziehung mit einem Unfall oder mit Mord?
Intelligenter Plot – meisterhaft konstruiert
»Black Widow/Dein Ende« verstrickt die Leser in ein meisterhaft gewebtes Netz. Zwei Fäden hält der Autor in der Hand, und er webt sie geschickt hin und her. Nichts ist so, wie es scheint. Ist Jager berechnende Psychopathin oder traumatisiertes Opfer? Wer genau war Peter Elphinstone? Und wo ist seine Leiche? Je mehr Parlabane erfährt, desto undurchsichtiger gestaltet sich dieser Fall.
»Dieser Spannungstitel lässt keine Wünsche offen«
Brookmyre lässt keine Wünsche offen: Hier wird ein intelligenter Plot mit authentischen, vielschichtigen und glaubhaft agierenden Personen bevölkert, die Handlungsstränge geschickt verwoben, und das Ende … (an dieser Stelle schweigt der Genießer).
Der Roman »Black Widow/Dein Ende« ist zwar Teil einer Serie, aber mühelos ohne Kenntnis der anderen Bände lesbar.
»Dein Ende« ist in der deutschen Übersetzung von Andrea O’Brien bei Rowohlt erschienen!
Der Autor
Christopher Brookmyre wurde am 6.12.1968 in Glasgow geboren.
Nach seinem 1989 abgeschlossenen Studium der englischen Literatur und Theaterwissenschaften an der Universität Glasgow arbeitete er als Journalist in London, Los Angeles und Edinburgh. Im Jahr 1996 erschien sein erster Roman »Quite Ugly One Morning«, um den Protagonisten Jack Parlabane. Parlabane, ein investigativer Journalist, der gern im Trüben fischt, ist die Hauptfigur in sieben seiner Bücher.
Die Thriller von Christopher Brookmyre zeichnen sich durch Satire und schwarzen Humor aus und dienen dem Autor als Aufhänger für Kritik an der Politik und Gesellschaft in UK. Mit »Black Widow« scheint der Autor allerdings neue Wege einzuschlagen, denn hier steht eine gut geplottete Handlung um eine charismatische Verdächtige im Vordergrund.
Christopher Brookmyre ist mit einer Anästhesistin verheiratet.
Bisher erschienen:
- Quite Ugly One Morning. 1996
- Country of the Blind. 1997
- Not the End of the World. 1998
- One Fine Day in the Middle of the Night. 1999
- Boiling a Frog. 2000
- A Big Boy did it and Ran Away. 2001
- The Sacred Art of Stealing. 2003 (dt. Die hohe Kunst des Bankraubs. Aus dem Englischen von Hannes Meyer. Galiani, Berlin 2013, ISBN 978-3-86971-077-8.)
- Be My Enemy. 2004
- All Fun and Games until Somebody Loses an Eye. 2005
- A Tale Etched in Blood and Hard Black Pencil. 2006
- Attack of the Unsinkable Rubber Ducks 2007 (dt: Angriff der unsinkbaren Gummienten. Aus dem Englischen von Hannes Meyer. Galiani, Berlin 2014, ISBN 978-3-86971-097-6.)
- A Snowball in Hell. 2008
- Pandaemonium. 2009
- Where The Bodies Are Buried. 2011 (dt: Wer schlafende Hunde weckt. Aus dem Englischen von Hannes Meyer. Galiani, Berlin 2012 ISBN 978-3-86971-063-1.)
- When the Devil Drives. 2012
- Bedlam. 2013
- Flesh wounds. 2013
- Dead Girl Walking. 2015
Bildinformation
Beitragsbild: (c) Andrea O’Brien, 2016
Bild 1: Vitaly Krivosheev / Fotolia.com