Eine unbekannte Tote, ein 47 Jahre altes Rätsel. Wer war sie? Warum hat sie niemand vermisst? »Death in Ice Valley« ist ein spannender neuer Podcast der britischen BBC und der norwegischen NRK.

Wer war die Tote von Isdalen?

Der zehnteilige Podcast mit dem Titel »Death in Ice Valley« ist eine Gemeinschaftsproduktion der britischen BBC und dem norwegischen Rundfunk NRK. Die norwegische Journalistin Marit Higraff und ihr britischer Kollege Neil McCarthy ermitteln in diesem mysteriösen und bis heute ungelösten Fall der unbekannten Toten, die vor nunmehr 47 Jahren in einem abgelegenen Tal in der Nähe von Bergen gefunden wurde.

Am 29. November 1970 entdeckten ein Hochschullehrer und seine beiden Töchter im Isdal-Tal die halb verbrannte Leiche einer Frau.Die Tote gibt Ermittlern bis heute Rätsel auf, denn die Ausländerin reiste allein, benutzte offenbar verschiedene Identitäten und gefälschte Pässe, war überall in Europa unterwegs und wurde von niemandem vermisst. Auch die Umstände ihre Todes sind bis heute nicht umfassend geklärt. Niemand weiß, was sie nach Norwegen führte, was sie dort tat und warum sie auf so grausame Weise in Isdalen ums Leben kam.

Atmosphärisch, düster und evokativ

»Death in Ice Valley« sticht aus der Masse der True-Crime-Podcasts hervor, und zwar nicht nur wegen der akribisch recherchierten und professionell vorgetragenen Informationen, sondern auch wegen seiner atmosphärischen Klanglandschaft aus Stimmcollagen, melancholischer Musik und evokativen Naturgeräuschen wie Regenprasseln und Feuerknistern. So werden beim Hörer eindrucksvolle Bilder erzeugt, die diese spannend erzählte Recherchegeschichte zu einem echten Hörgenuss für Spannungsaffine macht.

Doch denjenigen, die von ihren True-Crime-Podcasts Schockeffekte, blutige Einzelheiten und grimmige Detailbeschreibungen erwarten, werden enttäuscht sein. »Death in Ice Valley« ist investigativer Journalismus in Reinform. Hier geht es nicht darum, den brutalen Tod einer Frau zu Sensationszwecken auszuschlachten. Als man Marit Higraff mit diesem Vorwurf konfrontierte, reagierte die norwegische Journalistin entsetzt. Es sei ihr Anliegen, sagte sie, den Fall über die Grenzen ihres Landes hinaus bekannt zu machen und so vielleicht dabei zu helfen, den mysteriösen Tod dieser Frau aufzuklären.

Landschaftsbild mit Fjord, Bild 1 der Krimiscout-Besprechung des Podcasts Death in Ice Valley

Die Spuren führen quer durch Europa

In diesem Fall ist offenbar nichts, wie es scheint. Die unbekannte Tote, an die sich Zeugen bis heute erinnern, benutzte verschiedene Namen und Identitäten, daher ist nicht mal genau geklärt, woher sie eigentlich stammte. Sie trug sich mit deutschem Namen ins  Hotelbuch ein, bezeichnete sich aber als Belgierin und hatte vor ihrem Tod mehrere europäische Städte bereist. Eine Isotopenanalyse deutet auf eine Kindheit in Deutschland um 1933 hin, die historischen Umstände lassen ein Flüchtlingsschicksal vermuten. Auch nach Ende des Podcasts bleiben noch viele Fragen offen. Spannend ist in diesem Zusammenhang allerdings die zeitgleich ins Leben gerufene Facebook Gruppe zum Podcast, in der sich Hobbydetektive, aber vielleicht auch wichtige Zeugen oder Experten an der Aufklärung des Falls beteiligen können. Die Strategie scheint jedenfalls aufzugehen, denn ein Blick in diese äußerst lebhafte Gruppe genügt, um zu erkennen, dass der Fall offenbar in der breiten Öffentlichkeit diskutiert wird. Und Aufmerksamkeit ist vielleicht genau das, was der unbekannten Toten von Isdalen einen Namen und so auch ihre Würde zurückgeben könnte.

Krimiscout hat mit einem Mitglied der Facebook-Gruppe gesprochen, das lieber anonym bleiben möchte. Wir haben ihm den Namen Paul Smith gegeben.

KS: Wie haben Sie Death in Ice Valley entdeckt? Sind Sie ein Fan von True-Crime-Podcasts?

PS: Death in Ice Valley ist tatsächlich mein erster True-Crime-Podcast. Ich hatte schon früher was über den Fall der mysteriösen Tote von Isdalen gehört und mir den bereits den von NRK gesendeten Beitrag „Gåten i Isdalen“ podcast angehört, der sich mit demselben Thema beschäftigt.

KS:  Hat Ihnen der Podcast gefallen? Was hat Sie daran am meisten beeindruckt?

PS: Ja, er hat mir super gefallen! Abgesehen von dem wirklich spannenden Thema hat mich vor allem die professionelle Umsetzung beeindruckt. Aber ich möchte an dieser Stelle auch auf den wirklich tollen Soundtrack hinweisen, der eine unheimliche, spannende Atmosphäre erzeugt. Der Podcast hat eine unglaublich aktive Community von Hobbydetektiven zusammengeführt, die sich online über den Fall austauschen. Es ist hochinteressant zu erleben, wie die Leute mit demselben Ausgangsmaterial zu völlig verschiedenen Ergebnisse kommen. Natürlich hofft jeder von uns, den Fall am Ende zu lösen.

KS: Was finden Sie so fesselnd an diesem Fall?

PS: Vor allem, dass dieses Rätsel auch nach fast  50 Jahren ungelöst bleibt. Wir haben immer noch keine Ahnung, wer die Tote war und was sie in Norwegen gemacht hat. Stattdessen haben wir eine Reihe höchst seltsamer, mysteriöser Spuren (gefälschte Ausweise, mehrere Reisen quer durch Europa aus ungeklärten Gründen) – und niemand weiß, aus welchem Land sie überhaupt kam.

KS: Wieso haben Sie sich der Facebook-Gruppe angeschlossen?

PS: Ich verspürte den Drang, mich mit anderen über meine Ideen und Denkansätze zu diesem Fall auszutauschen. Außerdem wollte ich denjenigen Informationen liefern, die vielleicht keinen Zugang zu anderen Quellen haben.

KS: Haben Sie in der Gruppe schon eine heiße Spur gefunden?

Ha, ich wünschte, wir hätten etwas richtig Wichtiges entdeckt, aber dem ich nicht so. Bis jetzt gibt es noch keine heiße Spur. Aber vielleicht schicken viele von uns ihre Ansätze auch direkt an die Produzenten des Podcasts, daher kann es gut sein, dass im Hintergrund schon neue Ermittlungen laufen. Aber: ein paar Informationen und offene Fragen konnten durch unsere Gruppe geklärt werden! Zum Beispiel haben wir herausgefunden, dass die Marke der Rasierklingen, die im Koffer der Toten gefunden wurden, nicht etwa wie vorher protokolliert „Chick Super“ hieß, sondern „Super Schick“. Der Polizist hat sich 1970 tatsächlich im Bericht vertippt!  Außerdem hieß das Schuhgeschäft in Rom, wo die Unbekannte damals eingekauft hat, in Wahrheit  „Nickol“ und nun, mit dem richtigen Namen bewaffnet, haben wir einige Dokumente aus den  den Sechzigerjahren gefunden, in denen dieses Geschäft erwähnt wurde. Auch die angebliche Heimatadresse, die sie in einem der von ihr bewohnten Hotels angegeben hat – Philipstockstraat – ist eine sehr spezielle Adresse, die es nur in Brügge gibt. Die Adresse ist vielleicht erfunden, aber sie deutet auf jeden Fall auf diese Straße in Belgien hin.

KS: Habe Sie eine persönliche Theorie zu diesem Fall?

PS: Entweder sie arbeitete für eine Organisation und hat nicht ganz legale oder sogar kriminelle Aufträge ausgeführt  (vielleicht Scheckbetrug oder eine Geheimdiensttätigkeit als Kurier) und irgendwas ist völlig schiefgelauen oder sie wollte einfach spurlos verschwinden, solche Fälle gibt es ja zuhauf.

KS: Vielen Dank für dieses Interview.

Jenseits der Sensationsgeilheit

Dieser hochprofessionelle, spannende Podcast ist ein Hörerlebnis für alle Spannungsaffine, die Hörgenuss jenseits der Sensationsgeilheit suchen. Eine klare Empfehlung!

(c) Andrea O’Brien, 2018


Weiterführende Links:

Death in Ice Valley bei der BBC:

https://www.bbc.co.uk/programmes/p060ms2h

Death in Ice Valley Facebook Gruppe:

https://www.facebook.com/groups/deathinicevalley/

Artikel in der »Zeit«:

https://www.zeit.de/2018/03/isdal-frau-norwegen-tote-ermittlungen?page=4#comments

Artikel zur Toten von Isdalen auf dem Blog von Klaus Schmeh, Experte für historische Verschlüsselungstechnik:

http://scienceblogs.de/klausis-krypto-kolumne/2017/02/21/the-isdal-woman-mystery-revisited/

Artikel von NRK:

https://www.nrk.no/dokumentar/xl/das-ratsel-von-isdalen-1.13249266

Artikel der Innsbrucker Gerichtsmedizin:

https://www.i-med.ac.at/mypoint/news/710555.html

Bildquellen

  • DIIV: Andrea O'Brien