Eine einzigartige Landschaft, zwei rätselhafte Mordfälle und eine zunächst unsympathische Ermittlerin bilden den Mittelpunkt des neuesten Spannungsromans »Salt Lane« von William Shaw.

Englands Wüste

An der Küste Kents erstreckt sich eine eindrucksvolle Landschaft, in deren Mitte das Atomkraftwerk Dungeness aufragt. Manche bezeichnen die von Gräben durchzogenen Salzmarschen mit den verlassenen Stränden und ihrer schier unendlichen Weite als Wüste Englands.

Ebbe, Küste, Ablaufendes Wasser, Bild 1 Besprechung William Shaw, Salt Lane

Hier in dieser einzigartigen, von seltenen Vögeln (im doppelten Wortsinn) bewohnten Gegend siedelt William Shaw wiederum einen Spannungsroman an: »Salt Lane« ist zwar der erste Band einer neuen Serie, ihre zentrale Ermittlerfigur ist Fans aber bereits aus dem Roman »The Birdwatcher« (»Der gute Mörder«, dt. von Christiane Burkhardt) bekannt.

 

Eine Ermittlerin zum Abgewöhnen

Auf ihre Umwelt wirkt DS Alexandra Cupidi so sperrig wie ihr (etwas »erfunden« wirkende) Nachname: Sie ist taktlos, stur und impulsiv, was sie im Verlauf der Geschichte öfter in die Bredouille bringt. Wegen einer Affäre mit einem verheirateten Kollegen (William South aus »Der gute Mörder«) von der Metropolitan Police aus London in die Walachei versetzt, tut Cupidi sich sehr schwer, mit ihren Kollegen und ihrer neuen Heimat warm zu werden. Dazu kommt der Dauerkrieg mit Tochter Zoe und das schwierige Verhältnis zu ihrer Mutter Helen (aufmerksamen Lesern aus der Reihe um Breen & Tozer bekannt). Als man sie dann auch noch mit der attraktiven, beliebten und ehrgeizigen Kollegin Jill Ferriter zusammenspannt, ist der Konflikt vorprogrammiert.

Zwei rätselhafte Todesfälle

Aus ihrer Zeit in London ist Cupidi Mord und Todschlag gewöhnt, doch hier auf dem Land ticken die Menschen anders, auch die Verbrecher. Als ganz in der Nähe ihres Hauses in den einsamen Salzmarschen eine Tote gefunden wird und zunächst nicht mal die Todesursache geklärt werden kann, hat Cupidi ihren ersten großen Fall in der »Fremde« zu bewältigen. Wie erwartet stößt sie bei ihren Ermittlungen schnell auf Widerstände. Die Bewohner rund um Dungeness sind schweigsam, stur und haben mit der Polizei wenig am Hut. Cupidis ruppige, wenig einfühlsame Befragungsmethoden führen schon bald zu einer Eskalation mit tödlichem Ausgang. Nicht gerade das, was man sich für den Einstand wünscht.

Kurze Zeit später gibt es einen zweiten Toten. Ein Migrant, der offenbar ohne Aufenthaltsgenehmigung in England arbeitete, wurde auf unmenschliche Weise ermordet. Cupidi gerät ins Visier einer gut organisierten Verschwörung, die alles gefährdet, was ihr lieb und wichtig ist.

Komplexer Plot mit Schwächen

So weit, so komplex. William Shaw hat sich für seinen Serienauftakt ein wichtiges Thema vorgeknöpft: Geflüchtete und deren Schicksal als so genannte „Illegale“ in einem Land, das ihnen zunehmend Aggression und Ablehnung entgegenbringt. Das ist spannend und berührend geschildert.

Auch die Reibereien zwischen DS Cupidi und ihrem Sidekick Jill Ferriter sind unterhaltsam zu lesen und psychogisch nicht ganz uninteressant. Die Dynamik zwischen Cupidi und ihrer Tochter und die Konflikte mit ihrer Mutter sind aufschlussreich und wichtig, denn sie tragen dazu bei, der Figur nicht nur Tiefgang, sondern auch eine spröde Liebenswürdigkeit zu verleihen. Interessant sind auch die Parallelen zwischen dem Erleben Cupidis in ihrer neuen, gänzlich fremden Umgebung und dem vermeintlichen Erleben der Migranten im fremden Exil. Das Thema des „Nicht-Reinpassens“ ist der zentrale Konflikt in diesem Buch. Leider bewegen sich manche Familienszenen nah an der Seifenoper, ein Eindruck, der vor allem durch das Auftreten des ehemaligen Liebhabers verstärkt wird.

Während der Roman die Atmosphäre und eigenwilligen Einwohner dieser besonderen Gegend Englands gut abbildet, gerät dem Autor die Darstellung der Welt der Migranten doch sehr schablonenhaft. Man merkt, dass Shaw zwar fair sein will, aber offenbar nicht viel Kontakt mit Geflüchteten hatte. Leider greift er bei seinen Schilderungen auch gern mal in die Klischeekiste.

Ruhiger Erzählfluss

Insgesamt ist diese komplexe Geschichte flüssig und eindringlich erzählt, nur gelegentlich stören Längen und eine gewisse Kleinteiligkeit das Lesevergnügen. Leider sind die Figuren ein wenig flach geraten, da müsste noch etwas mehr Fleisch an die Knochen. Nebenhandlung und Haupthandlung sind teilweise nicht sauber getrennt, was an kritischen Stellen zu Verwirrung führt, und ärgerlicherweise ist das Ende mit dem unglaubwürdigen Bösewicht etwas zu melodramatisch geraten. Alles in allem aber dennoch eine Empfehlung – mit Abstrichen.

(c) Andrea O’Brien, 2018

Bildquellen

  • Tidal Flats: (c) Andrea O'Brien, 2018
  • Salzmarschen: (c) Elke Cramme, 2018 (mit freundlicher Genehmigung)