Im packenden Spannungsroman »Brighton« beeindruckt Michael Harvey seine Leser nicht nur mit einem authentischen Setting. Diese zutiefst verstörende Geschichte um Gewalt, die korrosive Wirkung von Grausamkeit und die Macht der Freundschaft ist meisterhaft erzählt und überzeugend aufgelöst.
Boston in den Siebzigern – ein brodelnder Kessel
Boston 1971: Der zehnjährige Kevin Pearce beobachtet, wie der ältere Bobby Scales einen Hund ertränkt. Der Hund gehörte einem gewalttätigen Fiesling, der das Tier regelmäßig verprügelte. Bobby, so erfährt Kevin, hat wiederholte Male versucht, den Hund zu befreien, doch das traumatisierte Tier kehrte immer wieder zu seinem bösartigen Besitzer zurück. »Manche sind tot besser dran«, erklärt Bobby seinem jüngeren Freund. Diese nahezu symbolische Szene bietet den Auftakt für den eindrucksvoll erzählten Roman »Brighton« von Michael Harvey.
»Manche sind tot besser dran«
Bobby und Kevin wachsen im Bostoner Viertel Brighton auf, das fest in der Hand irischer Einwanderer und von Gewalt, Verbrechen, Drogen geprägt ist. Kevins Vater terrorisiert seine Familie mit unberechenbarer Grausamkeit, die Mutter hat sich in ihr tristes Schicksal gefügt, während die Kinder – Kevin und seine beiden Schwestern Bridget und Colleen – eigene Strategien entwickeln müssen, um mit dem täglichen Terror umzugehen.
Es begann mit einem Mord
»Falls sie sterben sollte, erklärt die Großmutter, solle Kevin sich ganz auf Bobby Scales verlassen«
Einzig die im Obergeschoss des Familienhauses wohnende Großmutter Mary Burke schenkt Kevin liebevolle Zuwendung. Aus ihrem Büro im Gartenhaus heraus leitet sie ein Taxiunternehmen und lässt sich scheinbar von nichts und niemandem unterkriegen. Für sie steht fest, dass ihr Enkel, ein talentierter Baseballspieler, »was Besonderes« und zu Größerem bestimmt ist. Falls sie sterben sollte, erklärt ihm die Großmutter, solle Kevin sich ganz auf Bobby Scales verlassen. Der in einem Pflegeheim aufgewachsene Scales sieht in Mary Burke so etwas wie eine Ersatzmutter und bringt ihr seine bedingungslose Loyalität entgegen.
Nur wenige Tage darauf wird Mary Burke bei einem Raubüberfall ermordet und Kevins Schwester Bridget schwer verletzt. Zeugen wollen gesehen haben, wie der schwarzen Drogendealer Curtis Jordan von Tatort floh.
Für Bobby ist sofort klar: Curtis Jordan muss sterben. Kevin fasst denselben Entschluss. Doch als er schließlich in Jordans Wohnzimmer steht, verlässt ihn der Mut. Bobby, der nur Minuten später eintrifft, vollendet den Racheakt schließlich. Danach schießt Kevin dem bereits toten Jordan in den Kopf.
Vergangen, aber nicht vorbei
Fünfundzwanzig Jahre später. Kevin Pearce arbeitet mittlerweile beim Boston Globe als investigativer Journalist, und hat soeben erfahren, dass er für die Aufdeckung eines Justizirrtums mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wird.
Bei dem damaligen Fall ging es um eine junge Frau namens Rosie Tallent, die auf grausame Weise ermordet wurde. Für die Polizei stand James Harper schnell als Täter fest, weitere Ermittlungen fanden nicht statt. Einige Monate später starb Harper bei einer brutalen Attacke im Gefängnis.
»Kevin konnte zwar Harpers Unschuld beweisen, doch der wahre Täter wurde nie gefasst«
Kevin konnte zwar Harpers Unschuld beweisen, doch der wahre Täter wurde nie gefasst. Nun ist es an der Zeit, Rosie Tallents Mörder zu finden. Die Spur führt nach Brighton.
Entgegen der strikten Anweisung seines alten Freundes stellt Kevin Nachforschungen in seinem alten Viertel an. Bridget Pearce ist zu einer verbitterten, grausamen Frau herangewachsen, die gemeinsam mit Bobby ein Wettbüro betreibt. Hinter seinem Rücken stiehlt sie einen Teil der Einnahmen.
Die korrosive Wirkung der familiären Gewalt hat auch vor Colleen nicht Halt gemacht: Ihr vermögender Mann betrügt sie schamlos mit Minderjährigen. Colleen weiß davon, bringt es aber nicht fertig, ihn zu verlassen.
Als die verdeckt in Brightons Drogensumpf ermittelnde Polizistin Sandra Patterson und eine Prostituierte namens Christine Flannery tot aufgefunden werden und die Polizei die in beiden Fällen verwendete Tatwaffe als dieselbe identifiziert, mit der vor all den Jahren Curtis Jordan erschossen wurde, bricht für Kevin eine Welt zusammen. Alles deutet darauf hin, dass sein Freund Bobby nicht der ist, für den er ihn gehalten hat. Kevin muss sich seiner Vergangenheit stellen.
Elegisch erzählt – meisterhaft aufgelöst
Harvey erzählt seine Geschichte mit viel Herzblut, ist er doch selbst in den Siebzigerjahren in Boston aufgewachsen. Mit fast elegischer Sprache und geschmeidig wechselnden Erzählperspektiven schildert er die Freundschaft zwischen zwei Männern, die ein dunkles Geheimnis teilen.
»Die Hauptrolle in diesem Roman spielt Brighton«
Die Hauptrolle spielt hier allerdings Brighton selbst, dieser brodelnde Kessel, wo die Gewalt an jeder Straßenecke lauert und das Verbrechen zum Alltag gehört. Meisterhaft aufgelöst, hallt dieses Buch noch lange nach.
Für alle, die bei diesem Krimi an Dennis Lehane denken: Der Vergleich ist durchaus angemessen.
Kein Wunder, dass »Brighton« schon bald von Graham King von GK Films verfilmt wird, der schon einige hocherfolgreiche Filme, so z.B. »Departed – Unter Feinden«, produziert hat.
Der Autor
Michael Harvey, geboren und aufgewachsen in Boston, studierte Rechtswissenschaften, Journalismus und Altphilologie. Er arbeitet als Schriftsteller, Drehbuchautor, Produzent und Dokumtentarfilmer. Die US-Serie Cold Case Files, an der er als Drehbuchautor und Produzent beteiligt war, wurde für einen Emmy nominiert. Für seine Arbeit als Dokumentarfilmer und Autor wurde Harvey bereits mehrfach ausgezeichnet. Seit mehreren Jahren lebt der Autor mit seiner Frau in Chicago, wo er angeblich auch eine Bar namens »The Hidden Shamrock« betreibt.
Buchinfo
Titel: Brighton Format: Gebundene Ausgabe Verlag und Erscheinungsjahr: Bloomsbury Publishing plc, August 2016 Seiten: 368
Weiterführende Informationen
Autoreninformation
Bisher erschienen:
- The Chicago Way (2007), (dt. Preis der Schuld. Aus dem amerikanischen Englisch von Anke und Eberhard Kreutzer, Knaur Taschenbuch)
- The Fifth Floor (2008) (dt. Die Bestechlichen. Aus dem amerikanischen Englisch von Anke und Eberhard Kreutzer. Knaur Taschenbuch)
- The Third Rail (2010)
- We All Fall Down (2011)
- The Innocence Game (2013) (dt. Kein Opfer ist vergessen. Aus dem amerikanischen Englisch von Gabriele Weber-Jarić. Piper Taschenbuch)
- The Governor’s Wife (2015)
Bildinformation
Beitragsbild: (c) Andrea O’Brien, 2016
Bild 1: (c) Andrea O’Brien 2016
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