Bloodroot (sanguinaria canadensis), ist der Name einer Heilpflanze, die je nach Dosierung Heilung oder den Tod bringen kann. Der Titel verweist bereits auf die zentralen Motive dieses fulminanten Debütromans der jungen Autorin Amy Greene: Hier geht es um Liebe und Hass, um Leben und Tod.
Der Ort als Figur
»You might leave but one day your blood will whisper to you«
(Amy Greene, Bloodroot, S. 343)
Bloodroot Mountain heißt der abgelegene Berg im Osten Tennessees, wo diese drei Generationen umspannende Geschichte angesiedelt ist. Wie bei diesem Genre nicht untypisch, spielt der Ort hier eine tragende Rolle, die Natur ist Idylle und Hölle zugleich. Der Berg prägt seine Bewohner, nimmt sie auf, hält sie gefangen, bietet ihnen Schutz. Alle Figuren dieses Romans sind mit Bloodroot Mountain auf untrennbare Weise verbunden.
Die Hauptfigur, Dreh- und Angelpunkt des Romans, ist Myra Lamb. Mit ihren pechschwarzen Haaren und tiefblauen („haint“) Augen hat sie eine mystische Ausstrahlung, die ihr bei manchen Nachbarn den Ruf einer Hexe einträgt.
Nach dem Tod ihrer Mutter Clio, die bei einer wilden Spritztour mit Myras Vater ums Leben kommt, wächst die junge Myra bei ihrer Großmutter Byrdie auf, die auch den ersten Teil dieser Geschichte erzählt. Im Nachbarsjungen Doug Cotter findet das Mädchen schon bald einen Freund und heimlichen Bewunderer, und die beiden durchstreifen fortan gemeinsam die wilde Natur. Doug ist in Myra verliebt, doch seine Liebe bleibt unerwidert.
Leidenschaft und Gewalt
Als Mädchen bereits schwer zu kontrollieren, wird Myra als junge Frau unbezähmbar. Wie ihre Mutter bleibt sie nächtelang von zu Hause fort und widersetzt sich allen Versuchen ihrer Großmutter, sie vor drohendem Unheil zu bewahren. Byrdie besitzt wie die meisten Frauen in ihrer Familie eine besondere Empfindsamkeit, die sie als Heilerin befähigt. Doch ihre Bemühungen sind vergebens. Myra verliebt sich Hals über Kopf in den unberechenbaren John Odom und steht schon bald in seinem Bann. Aus John Odoms anfänglicher Leidenschaft wird schon bald obsessive Eifersucht, die in Gewalt mündet. An dieser Stelle endet Teil 1 des Romans.
Sechs Erzählstimmen und eine nicht-lineare Erzählweise
Im zweiten Teil dieses dem Genre des Southern Gothic zugehörigen Romans erzählen Myras Kinder, die Zwillinge Laura und Johnny, abwechselnd von ihrer Kindheit in Armut und Verwahrlosung und ihrem schwierigen Weg ins Leben. Warum Myra mit ihren Kindern, aber ohne John Odom nach Bloodroot Mountain zurückgekehrt ist, und warum sie offenbar unter einem schlimmen Trauma leidet, ist zu diesem Zeitpunkt noch ungeklärt. Myras Leid prägt allerdings das Leben ihrer Kinder. Erst im dritten Teil, auf den letzten hundert Seiten des Romans, kommen Myra und schließlich auch John Odom zu Wort.
Insgesamt hat dieser Roman sechs unterschiedliche Erzähler, was vielleicht verwirrend erscheint, zusammen mit der nicht chronologischen Erzählweise aber große Spannung erzeugt. Myra, die eigentliche Hauptfigur, tritt zwar erst am Ende des Buches mit eigener Stimme auf, sie ist aber als wichtige Figur in allen Erzählsträngen präsent. Der Perspektivwechsel von Großmutter zu Mutter zu Enkel unterstreicht eines der zentralen Motive dieses Romans: die unzerstörbaren Bindungen zwischen Kindern und ihren Müttern, und die generationenübergreifend zerstörende Wirkung von Gewalt.
Tragisch, aber nicht schwermütig
Greenes Debütroman lebt von der Spannung der Gegensätze. Die Grundstimmung des Romans ist düster, doch Greenes Sprache ist lebendig, an manchen Stellen sogar poetisch. Ihre Naturbeschreibungen sind von einer lyrischen Bildhaftigkeit, der für die Gegend typische dialektale Einschlag der Erzählstimmen macht den Ort authentisch und seine Figuren für den Leser greifbar.
Eine begeisterte Leseempfehlung
Obwohl Bloodroot ihr Debüt ist, hat die Autorin Amy Greene ihren Stoff souverän im Griff. Kritik an der Ähnlichkeit der Erzählstimmen Johnnys und Lauras erweist sich bei genauerer Betrachtung als unberechtigt, denn die Zwillinge wuchsen ohne Fremdkontakte auf, was diese vermeintliche Schwäche eher logisch erscheinen lässt.
Greenes Erzählstil ist poetisch, aber nie überfrachtet. Sie behandelt ein schwieriges, deprimierendes Thema auf spannende, einfühlsame Art. Mit Myra Lamb hat die Autorin eine unvergessliche Romanfigur erschaffen. Ihre bewegende Geschichte hebt sich auf angenehme Weise von der Masse der Spannungsliteratur ab.
Die Autorin
Amy Greene wurde in den Ausläufern der Smoky Mountains geboren, wo sie auch heute noch mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern lebt. Ihr zweiter Roman Long Man erschien im Februar 2014 ebenfalls bei Alfred A. Knopf. Bloodroot ist ihr erster Roman.
© Krimiscout 2015
Buchinfo
Titel: Bloodroot Format: Taschenbuch Verlag und Erscheinungsjahr: Knopf, 2010 Seitenzahl: 365
Weiterführende Informationen:
Ein exklusives Interview mit der Autorin lesen Sie hier
Bildnachweis
Beitragsbild: (c) Lario Tus / Fotolia
Bild 1: (c)Wikimedia Commons / The Botanical Magazine, Plate 162 (Volume 5, 1792)“ by William Curtis (Licensed under Public Domain via Wikimedia Commons)