Nicola White, die ihre Kindheit in Dublin und ihre Jugend in New York verbrachte, lebt heute in der Nähe von Glasgow. »In The Rosary Garden« ist Nicola Whites erster Roman, mit dem sie 2013 den Dundee International Book Prize gewann.
Nicola White im Interview mit Krimiscout
KS: Ist ein Buch erst einmal erschienen, hat der Autor keine Kontrolle mehr darüber. Wie stehen Sie zu dieser These?
,,Ich muss gestehen, dass ich bei Lesungen manchmal Sätze spontan ändere, wenn sie mir nicht mehr gefallen“
NW: Wenn etwas von mir erschienen ist, verspüre ich große Erleichterung. Ich habe die lästige Angewohnheit, meine Arbeit immer und immer wieder zu redigieren. Aber wenn ein Buch auf dem Markt ist, muss man es loslassen. In der Fantasie der Leser erhält es dann ein ganz eigenes Leben, und ich bin wieder frei, um mir was Neues auszudenken. (Lacht) Ich muss allerdings gestehen, dass ich bei Lesungen manchmal Sätze spontan ändere, wenn sie mir nicht mehr gefallen.
KS: Würden Sie sagen, Sie gewinnen mit jedem Buch mehr Selbstvertrauen?
NW: Ich habe erst einen Roman veröffentlicht, und zwei weitere sind in Arbeit. Der Erfolg meines Debüts hat mir gezeigt, dass ich es überhaupt schaffen kann, und das verhilft mir natürlich zu etwas mehr Selbstvertrauen, andererseits… (denkt nach) möchte man beim nächsten Mal noch besser sein und sich übertreffen.
KS: Wie gefällt Ihnen das Schreiben als Vollzeitbeschäftigung? Geht es Ihnen manchmal auf die Nerven?
NW: Früher habe ich immer geglaubt, es sei herrlich, den ganzen Tag ungestört vor sich hinschreiben zu können. Aber nachdem ich das einige Monate versucht hatte, musste ich feststellen, dass mir der Kontakt zur Außenwelt fehlte. Deswegen mache ich es heute anders: Neben meiner Arbeit als Schriftstellerin betreue ich tageweise verschiedene Kunstprojekte, oder arbeite im Verbund mit anderen Künstlern. Ich habe gerade ein Projekt mit einer Klangkünstlerin und einer Musikerin abgeschlossen, bei dem es die Komposition von Wiegenliedern für Ungeborene ging.
KS: Wo schreiben Sie?
,,Wie man sieht, mag ich es gern chaotisch“
NW: Ich wohne in einem alten Cottage neben einem Loch (See) im Westen Schottlands. Mein Schreibzimmer befindet sich im rückwärtigen Teil des Hauses, wo ich wegen der dicken Mauern keine Internetverbindung habe. Dort fühle ich mich wie in einer Hütte. An drei Seiten gibt es Fenster, und die Wände sind mit Holz vertäfelt. Draußen stehen ein paar alte Apfelbäume, aber ansonsten gibt es nicht viel, was mich ablenken könnte. Man sieht, ich mag’s gern chaotisch.
KS: Gibt es einen Mythos über Schriftsteller, den Sie gern entlarven würden?
NW: Dass Autoren ihre Arbeit ganz super finden und deshalb selbstzufrieden durch die Welt stolzieren. Die meisten Schriftsteller, die ich kenne, sehen fast immer gequält aus und finden ihr Manuskript ganz fürchterlich. Erst, wenn sie die finale Fassung erreicht haben, schließen sie Frieden damit. So geht es mir auch.
KS: Wie viel Zeit verbringen Sie täglich mit dem Schreiben? Arbeiten Sie nach einem strengen Zeitplan, oder hängt Ihr Pensum eher von der Tagesform ab?
NW: Ich versuche, vier bis fünf Stunden täglich zu schreiben. Wenn mir das nicht gelingt, geht es mir schlecht. Ich habe mir auch schon mehr abverlangt, aber meinem Hirn geht irgendwann die Puste aus. Auch eine bestimme Anzahl Wörter oder Seiten pro Tag schreiben zu wollen, hat sich für mich nicht bewährt. Der Zeitrahmen von vier bis fünf Stunden ist das Einzige, was funktioniert. Würde ich nur nach Lust und Laune schreiben, würde ich jede Menge Fragmente, aber nichts Zusammenhängendes produzieren.
KS: Macht Ihnen das Schreiben immer Spaß?
NW (lacht): ,,Spaß“ ist nicht gerade das, was mir beim Thema Schreiben in den Sinn kommt. ,,Notwendigkeit“ ist da wohl passender.
KS: Wie wichtig ist der Ort in Ihren Romanen?
NW: Darüber habe ich mir in letzter Zeit häufiger Gedanken gemacht. Es macht mir Freude, eine sehr detaillierte Welt zu entwerfen, in der sich meine Figuren bewegen, und ich bin überzeugt, dass die imaginierte Architektur und Landschaft in einem Roman eine genauso starke Wirkung entfalten kann wie der Plot oder die Charakterzeichnung. Als Leserin tauche ich gern komplett in die Welt des Romans ab, deswegen weiß ich, wie wichtig es ist, die Welt des Romans erlebbar zu machen. Mein Roman »In The Rosary Garden« spielt an den Orten meiner Kindheit in Irland, also in Dublin und County Clare, aber sie sind natürlich fiktiv, aus Bruchstücken meiner Erinnerung zusammengesetzt. Auf mich wirken diese Orte allerdings gerade dadurch sehr real.
KS: Welche Geschichten oder Autoren haben Sie beeinflusst?
NW: Beim Umzug in mein Cottage stieß ich auf eine Mappe mit Zeitungsartikeln aus dem Jahre 1984, die ich ausgeschnitten und aufbewahrt hatte. Darin ging es um das so genannte „Kerry Babies Tribunal“, eine viel beachtete Untersuchung der Aufklärungsarbeit der irischen Polizei in zwei ungefähr zur gleichen Zeit aufgedeckten Fällen von Kindsmord in der Grafschaft Kerry. Ich war auf der Suche nach einem Ausgangspunkt, einem zentralen Konflikt für meinen Roman (wobei ich mir damals gar nicht vorstellen konnte, einen ganzen Roman zu schreiben). Diese besondere Zeit und die Situation junger Frauen im repressiven Irland der Achtzigerjahre schien mir besonders interessant und als Hintergrund für meine Geschichte wunderbar geeignet.
Ich kann mich außerdem noch an bestimmte Lieder erinnern, die mir meine Mutter oft vorsang. In einem geht es um eine schwangere Frau, die von ihrem Liebhaber verlassen wurde und sich umbringen will. Ein anderes Lied mit dem Titel „Weelya Wallya“ handelt von einer böse Frau, die ihr Baby mit einem Taschenmesser ersticht. Ziemlich schräge Wiegenlieder, wenn ich jetzt so darüber nachdenke.
KS: Was kommt als Nächstes?
NW: Zwei Romane liegen in der Rohfassung vor, aber ich bin nicht sicher, welcher von beiden zuerst veröffentlicht wird. Wie gesagt, ich kann meine Arbeit erst dann loslassen, wenn ich überzeugt bin, mein Bestes gegeben zu haben. Der erste Roman ist die Fortsetzung von »In The Rosary Garden«, also ein neuer Fall für Swan und Considine. Diesmal geht es um zwei Schwestern, die sich scheinbar zu Tode gehungert haben. Der zweite Roman handelt von vier Freunden, die sich auf der Kunsthochschule kennenlernen, und deren Leben durch den Tod eines gemeinsamen Freundes eine schmerzliche, aber auch hoffnungsvolle Wendung erfährt. Er spielt in der Kunstszene Glasgows.
Krimiscout bedankt sich für die interessanten Antworten und wünscht Nicola White viel Erfolg!
Dt. Übersetzung: Andrea O’Brien
© Krimiscout 2015
Bildnachweis
Beitragsbild © Ruth Clark
Bild 1 © Nicola White (Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Autorin)