Eiskalt verhört: Krimiscout hat Joachim Feldmann wegen Mord + Totschlag am Erker erwischt und ihn ohne Anwalt in die Mangel genommen. Der Mann hat gesungen – und wie!

  1. Steckbrief Joachim Feldmann

Joachim Feldmann, 59, Lehrer für Deutsch und Englisch an einem Berufskolleg im nördlichen Ruhrgebiet. Mitbegründer und seit 40 Jahren Redakteur der Literaturzeitschrift »Am Erker«, Literaturkritik (vor allem Kriminalromane) für das CrimeMag und die Wochenzeitung »Freitag«. Mitglied in der Jury für den Deutschen Krimipreis.

  1. Wann kamen Sie das erste Mal mit Kriminal- bzw. Spannungsliteratur in Berührung?

JFAls Kind las ich neben Karl May auch gerne die Abenteuer des Privatdetektivs Teffan Tiegelmann (in den Romanen von Ake Holmberg), dann Edgar Wallace und andere Goldmann-Taschenbücher, die im heimischen Bücherregal standen. Meine Mutter war eine leidenschaftliche Krimileserin. Mein erster Lieblingsautor war Rex Stout, für dessen Nero Wolfe-Romane ich alle möglichen Antiquariate und Secondhand-Läden in Münster abgraste, denn die meisten Ausgaben waren vergriffen. Später kamen Sjöwall/Wahlöö und die Klassiker (Chandler, Hammett, Ed McBain) dazu. Mitte der achtziger Jahre begann ich damit, Kriminalromane für »Frontal«, die Zeitschrift des Sozialistischen Hochschulbundes zu rezensieren. Die Kolumne hieß »Mord + Totschlag« und ist inzwischen seit vielen, vielen Jahren in unserer Zeitschrift »Am Erker« beheimatet.

Früher glaubte ich, dass selbst schlechte Krimis im Unterschied zu miserabler sogenannter ernster Literatur immer noch den Vorteil hätten, unterhaltsam zu sein. Diese Überzeugung habe ich nach der Lektüre unzähliger öder Kriminalromane abgelegt.«

  1. Warum Krimis? Was ist Ihrer Meinung nach so faszinierend an diesem Genre?

JF: Mir gefällt es, wenn mit literarischen Konventionen erfinderisch umgegangen wird. Das Krimigenre ist in dieser Hinsicht besonders fruchtbar. Mir gefällt auch der populäre Realismus der Kriminalliteratur. Früher glaubte ich, dass selbst schlechte Krimis im Unterschied zu miserabler sogenannter ernster Literatur immer noch den Vorteil hätten, unterhaltsam zu sein. Diese Überzeugung habe ich nach der Lektüre unzähliger öder Kriminalromane abgelegt.

  1. Wie würden Sie den deutschen Krimimarkt charakterisieren? Bestehen Unterschiede zum englischen Krimimarkt (UK und USA)? Welche?

JFTrotz Umsatzrückgängen in letzter Zeit scheint das Genre hierzulande noch immer zu boomen. Und das heißt leider auch, dass viel Überflüssiges publiziert wird. Angesichts der Tatsache, dass ich nicht dazu komme, all die vielversprechenden Neuerscheinungen zu lesen, frage ich mich, warum ich mich mit dilettierenden Erzählversuchen aus dem Schlitzer-Psycho-Genre o. ä. abgeben soll. Es gibt z. B. mehr als 30 Romane des großen britischen Politthriller-Autors Gerald Seymour, von denen ich erst eine Handvoll kenne, weshalb sollte ich also meine Zeit mit langweiligen Serienkillern, Ritualmördern und albernen Ermittlern verschwenden. Andererseits schaue ich mir durchaus alle Rezensionsexemplare, die ins Haus kommen an, immer in der Hoffnung, dass sich ein literarisches Meisterwerk im Gewand eines Regionalkrimis versteckt. Ich glaube übrigens, dass der deutsche Krimimarkt (auch im Vergleich mit den USA und dem UK) so schlecht nicht ist. Es gibt engagierte unabhängige Verlage (Pendragon, Ariadne, Pulpmaster, Polar, Alexander u.v.a.) und auch qualitativ gute Reihen in manch großem Verlagshaus.

  1. Welcher Autor/Autorin hat Sie in letzter Zeit besonders beeindruckt? Warum?

JF: Oliver Bottinis neuer, bereits viel gelobter, Roman „Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens“ verbindet auf unangestrengte Weise politische Aufklärung im klassischen Sinn mit einer spannenden Kriminalhandlung. Das ist Erzählhandwerk auf ganz hohem Niveau. Zu erwähnen wäre auch der Brite Lawrence Osborne, dessen Romane »The Forgiven« (dt. »Denen man vergibt«, übersetzt von Reiner Pfleiderer ) und »Beautiful Animals« die aktuelle Flüchtlingssituation auf überraschende, literarisch überzeugende Weise reflektieren

  1. Welchen bisher unentdeckten englischsprachigen Krimiautor/in würden Sie dem deutschen Publikum unbedingt empfehlen?

JF: Wer Spionageromane liebt, sollte unbedingt zu den Büchern des britischen Autors Mick Herron greifen. Inwieweit das MI5 tatsächlich eine Abteilung für in Ungnade gefallenes Personal unterhält, das man aus unterschiedlichen Gründen nicht einfach feuern kann, lässt sich leider nicht überprüfen. Denn wenn es diese Abteilung geben sollte, ist sie natürlich streng geheim. Wahrscheinlich scheint mir, dass Herron sie schlicht erfunden hat. Inzwischen liegen vier Romane der Serie um den durchtriebenen Agenten Jackson Lamb und seine Versagercrew vor, die von der heimischen Kritik in eine Reihe mit den Werken der Großen des Spionagegenres gestellt wird, aber bei uns offenbar noch keinen Verlag gefunden hat. Herron gelingt der Spagat zwischen grotesker Komik und blutigem Ernst auf sehr elegante Weise. Lamb erinnert übrigens nicht nur von der Statur her an den legendären Andy Dalziel aus den hochartifiziellen Polizeiromanen Reginald Hills.

  1. Gibt es so etwas wie Modeerscheinungen im Krimigenre? Wenn ja, welche Mode herrscht gerade?

»Machen Sie Ferien, wo andere morden.«

JF: Ja, die gibt es wohl. Dazu gehören leider immer noch die bereits erwähnten Ritualmörder und Serienkiller, die gerne in persönlichen Kontakt zum ermittelnden Personal, das unter einer ganz eigenen Macke leidet, treten, um ein Zeichen zu setzen. Zur Ausstattung gehört unbedingt ein ganz, ganz finsterer Kellerraum mit Vorhängeschloss. Eine andere Figur, die in den letzten beinahe unverzichtbar geworden ist, ist der halb wahnsinnige Computerfreak, mal männlich, mal weiblich, an den sich der Ermittler wenden kann, wenn nichts mehr geht. Garantiert findet sich eine Lösung im weltweiten Netz. Oh, jetzt hätte ich beinahe den Urlaubskrimitrend (Bretagne!) vergessen. Machen Sie Ferien, wo andere morden.

  1. Vor dem Hintergrund des aktuellen Weltgeschehens, glauben Sie, dass der Politkrimi in nächster Zeit zunehmend an Bedeutung gewinnen wird?.

JFIch glaube, dass der Politkrimi nie an Bedeutung verloren hat. Ich erinnere noch einmal an die Romane Gerald Seymours, die leider sehr, sehr lange unübersetzt geblieben sind. Oder an die Französin Dominique Manotti. Auch deutsche Autoren gehören dazu, neben dem bereits erwähnten Oliver Bottini zum Beispiel Horst Eckert.

  1. Gibt es für Sie Handlungsorte, Motive, Konstellationen oder Handlungsstrukturen, die Sie besonders reizen? Warum?

JF: Ich mag noch immer klassische Private Eye-Krimis in der Nachfolge Chandlers und Ross MacDonalds, die ihre große Zeit in den 1980er Jahren hatten (Stephen Greenleaf, Loren D. Estleman, Sue Grafton, Linda Barnes u.a.) Aber auch Polizeiromane mit einem Ermittlerkollektiv, deren Krimiplot in einen realistischen Handlungsrahmen eingebunden ist, gefallen mir als altem Fan des 87th Precinct (Ed McBain) sehr gut. Ein Faible habe ich allerdings auch für das grotesk Übertriebene (z. B: in Ken Bruens Brant-Serie) und für die Komik der Dortmunder-Romane Donald E. Westlakes.

»Es kann noch lange dauern, bis die Erkenntnis um sich greift, dass nicht das Genre an sich trivial ist, sondern immer nur individuelle Texte. Und die finden sich in jeder Art von Literatur.«

  1. Krimis haben in der Literaturszene immer noch ein wenig das Image des Schmuddelkindes, will sagen, sie gelten als trivial. Wie, glauben Sie, könnte man dem Krimi als Genre zu mehr Souveränität verhelfen?

JF: Versuche gibt es genügend, von Tobias Gohlis‘ Bestenliste über das CrimeMag bis hin zu der ehrenwerten, einmal monatlich erscheinenden Krimiseite im Literaturblatt der FAZ. Aber nutzt das etwas? Ist es vielleicht sogar so, dass viele meiner Kolleginnen und Kollegen, die im Deutschunterricht ihre Klassen mit Goethe, Frisch und Brecht traktieren, in ihrer Freizeit bevorzugt zu Bannalec et. al. (Bretagne!) greifen. Es kann noch lange dauern, bis die Erkenntnis um sich greift, dass nicht das Genre an sich trivial ist, sondern immer nur individuelle Texte. Und die finden sich in jeder Art von Literatur.

Krimiscout bedankt sich bei Joachim Feldmann für das Interview und wünscht ihm weiterhin viel Erfolg.

(c) Andrea O’Brien, 2018