In der Reihe »Fahnderprofile« hatte Krimiscout das große Vergnügen, mit Krimiautorin und Journalistin Katja Bohnet zu sprechen, die ein paar erfrischende Antworten parat hatte. Aber lesen Sie selbst:
- Steckbrief Katja Bohnet
KB: Mensch, weiblich. Schriftstellerin, Rezeptionistin, Rezensentin, Journalistin, Mutter, Tochter, Verkehrsteilnehmerin, Fotografin, Lernende, Reisende, Germanys Next Brillen-Model, Kunstgroupie, tragische Figur. Je nach Auftragslage und Medikation.
- Wann kamen Sie das erste Mal mit Kriminal- bzw. Spannungsliteratur in Berührung?
KB: In unserem Bücherschrank. TV-ferne Erziehungskonzepte in den Siebzigern beinhalteten noch das Lesen von Büchern und das Bauen von Baumhäusern in nahegelegenen Waldstücken. Hanni und Nanni (beinahe nervenzerreißender Spannungsbogen, einschlägige Sozialstudien), TKKG, Karl May (Westernthrill und Orientkrimi), danach Sjöwall Wahlöö, Stout, Christie, Doyle, Sayers, Ambler, Hammet, Highsmith, Atwood. Die warteten alle bei uns und in der Stadtbibliothek auf mich.
- Warum Krimis? Was ist Ihrer Meinung nach so faszinierend an diesem Genre?
KB (schaut sehr ernst hinter ihrer Brille hervor): Das Böse, die Abgründe, Spiegel unserer grausamen Welt. Die Variationsbreite. Volksnähe. Unser täglich Thrillerbrot gib uns heute. Im besten Fall: das Harte, Direkte, Ungezähmte, Schnörkellose, Unkonventionelle.
- Wie würden Sie den deutschen Krimimarkt charakterisieren? Bestehen Unterschiede zum englischen Krimimarkt (UK und USA)? Welche?
»In England darf man einen Ian McEwan auch kaufen und lesen, wenn man einen Hauptschulabschluss hat. Man darf ihn dann auch mögen. Ein Ian McEwan dürfte auch auf einem Krimibüchertisch liegen. Der Autor würde deshalb niemanden verklagen. Der deutsche Krimimarkt ist überwiegend männlich und alt. Er leidet unter zu viel Testosteron. Unter Solipsismus.«
KB: Versuch einer Polemik: In der Mitte des deutschen Marktes und sichtbar auf den Büchertischen tummelt sich irgendwas mit Serienkiller, irgendwas mit Tod und Lavendel, irgendwas mit Tod und Kochen, irgendwas mit Tod und Taunus, irgendwas mit unblutiger, weiblicher Psychospannung. Am Rand liegen der Politthriller, das stilistische Meisterstück, die Genre-Gratwanderer. In Großbritannien findet weniger Selbstbefriedigung der Akteure durch E- und U-Abgrenzung statt.
Man darf einen Ian McEwan auch kaufen und lesen, wenn man einen Hauptschulabschluss hat. Man darf ihn dann auch mögen. Ein Ian McEwan dürfte auch auf einem Krimibüchertisch liegen. Der Autor würde deshalb niemanden verklagen.
Der deutsche Krimimarkt ist überwiegend männlich und alt. Er leidet unter zu viel Testosteron. Unter Solipsismus. (Provokation. Bitte Kommentarspalte abschalten.) Die jungen, deutschen Hipster schreiben lieber den x-ten Coming Of Age Roman.
Der amerikanische Krimi wirkt wie das Land selbst gespalten. Zwischen fetten Mainstream-Psychokloppern und interessanteren harten, wilden Underdog-Geschichten, die sich erfreulicherweise bei den Bestsellern genauso wie auf dem Indie-Markt finden. Was ich übrigens all den Lords und höflichen, britischen Inspektoren, die in abgelegenen Landhäusern ermitteln, vorziehe. Ausgenommen Liza Cody, die mich mit dem britischen Krimi wieder versöhnt hat. Wie auch die wunderbare Alice Morgan aus »Luther« mit britischen Serien. Anderes Thema. Oder vielleicht auch nicht.
- Welcher Autor/Autorin hat Sie in letzter Zeit besonders beeindruckt? Warum?
KB: Zoë Beck. Politische Autorin, tolle Netzwerkerin, Verlegerin, Übersetzerin, Multitalent, breit aufgestellt. Nora-Eugenie Gomringer. Lyrikerin, Performerin, literarische Zirkusdirektorin. Erika Krouse, versiert auf Kurz- und Langstrecke. Nina George. Wie Beck Aktivistin. Kann alles, macht alles, hat auch noch Erfolg damit.
- Welchen bisher unentdeckten englischsprachigen Krimiautor/in würden Sie dem deutschen Publikum unbedingt empfehlen?
KB (lacht): Bitte empfehlen Sie mir eine unentdeckte, englischsprachige Krimiautorin! Ich bin immer die Letzte, die etwas erfährt.
- Gibt es so etwas wie Modeerscheinungen im Krimigenre? Wenn ja, welche Mode herrscht gerade?
KB (runzelt die Stirn): Wovon sprechen wir hier? Haute Couture, Prêt à Porter, oder Streetwear? Der Versuch einer Einordnung findet sich weiter oben. Ansonsten: keine Ahnung. Ist das wichtig? Befragen Sie bitte einen kompetenten Trendforscher. Oder den morgendlichen Kaffeesatz.
- Vor dem Hintergrund des aktuellen Weltgeschehens, glauben Sie, dass der Politkrimi in nächster Zeit zunehmend an Bedeutung gewinnen wird?
KB: Zwangsläufig. Ist vor unseren Augen bereits geschehen. Als Alternative zu alternativen Fakten.
- Gibt es für Sie Handlungsorte, Motive, Konstellationen oder Handlungsstrukturen, die Sie besonders reizen? Warum?
Rühr mein Herz an, nimm mich mit, spiele mit meinem Verstand, erschrecke mich, bring mich zum Schreien, Lachen, Weinen, Nachdenken! Es darf laut sein und in Neonfarben leuchten. Es darf leise sein und ein Kammerspiel. Es muss eine eigene Handschrift haben. Pure, blutige Poesie.
KB: Ausland oder Hinterland, unkonventionelle Beziehungsmuster, das Verlassen der Realität.
Ich schätze Mut. Rühr mein Herz an, nimm mich mit, spiele mit meinem Verstand, erschrecke mich, bring mich zum Schreien, Lachen, Weinen, Nachdenken! Es darf laut sein und in Neonfarben leuchten. Es darf leise sein und ein Kammerspiel. Es muss eine eigene Handschrift haben. Pure, blutige Poesie. Es muss nicht perfekt sein. Es sollte besonders, anders sein. Es darf mich anmachen und verstören.
Warum? Weil es alles andere bereits gibt.
- Krimis haben in der Literaturszene immer noch ein wenig das Image des Schmuddelkindes, will sagen, sie gelten als trivial. Wie, glauben Sie, könnte man dem Krimi als Genre zu mehr Souveränität verhelfen?
»Der Kriminalroman kann alles. Er war schon immer souverän. Und gute Literatur.«
KB: Das Gerücht hat doch mal ein Lyriker gestreut. Wen kreuzigt man da zuerst: Autoren, Leser, Buchhändler oder Verlage? Manche Leute glauben auch noch an den Osterhasen. Diese Zeiten sind längst vorbei. Falls nicht, rufe ich die neue Zeit jetzt aus. Der Kriminalroman kann sexy, scharf, düster, sozialkritisch, humorvoll, anders sein. Sogar intelligent und regional. Er kann alles. Er war schon immer souverän. Und gute Literatur.
Ein kichernder Krimiscout bedankt sich Katja Bohnet für das Interview und wünscht ihr weiterhin viel Erfolg.
Weiterführende Informationen
Autorenseite Katja Bohnet bei Droemer Knaur
Bildnachweis
Beitragsbild (c) Benedikt Ernst, mit freundlicher Genehmigung