In der Reihe »Fahnderprofile« sprach Krimiscout mit Ulrich Noller. Warum er sich bei der Frage nach der Faszination des Spannungsgenres schwer beherrschen musste, lesen Sie hier.

  1. Steckbrief Ulrich Noller

UN: Zu alt, um noch jung zu sein. Krimi-Kritiker (und Autor) seit ca. 25 Jahren; Krimifan seit mindestens 35. Journalist in allen möglichen Medien, mit Schwerpunkt beim WDR. Dort auch zuständig für Philosophie und so Zeugs.

  1. Wann kamen Sie das erste Mal mit Kriminal- bzw. Spannungsliteratur in Berührung?

UN: Als Acht- und Neunjähriger, im fußballfeldgroßen Schrebergarten der Großmutter. Die Krimis aus ihrem Bücherschrank (Mrs. Marple und Co.) las ich unterm Verdeck der Hollywoodschaukel, während die anderen Kirschen pflückten. Später, als Jugendlicher, Politthriller von Alistair McLean, »Es muss nicht immer Kaviar sein« und alle möglichen Simenons von Allgäuer Flohmärkten. Dritter Einstieg als Student in Köln, als ich da die AutorInnen des französischen Neopolar entdeckte, war´s endgültig um mich geschehen.

  1. Warum Krimis? Was ist Ihrer Meinung nach so faszinierend an diesem Genre?

UN (lacht):  Wie viel Zeit haben wir?

Nein, im Ernst: Mich fasziniert Literatur, die einen blendend unterhält und dabei eine klasse konstruierte Geschichte mit spannenden Charakteren literarisch gekonnt umsetzt. All das bietet das Genre immer noch und immer wieder, aller Retorten- und Massenproduktion zum Trotz.

  1. Wie würden Sie den deutschen Krimimarkt charakterisieren? Bestehen Unterschiede zum englischen Krimimarkt (UK und USA)? Welche?

Der deutsche Markt ist jedenfalls – weitgehend – ein Grauen, ein unfassbarer Ausstoß an Retortenprodukten; Verlage, die jede Sau, die halbwegs läuft, ein halbes Dutzend Mal durchs Dorf treiben

UN:  So detailliert kenne ich den englischsprachigen Markt nicht. Der deutsche ist jedenfalls – weitgehend – ein Grauen, ein unfassbarer Ausstoß an Retortenprodukten; Verlage, die jede Sau, die halbwegs läuft, ein halbes Dutzend Mal durchs Dorf treiben und mit ihrer Überproduktion des Immergleichen der Kreativität die Luft abzuschnüren drohen. Wären da nicht ein paar aufrechte Gallier, die sich der Flut wacker immer wieder und immer weiter entgegen stellen…

  1. Welcher Autor/Autorin hat Sie in letzter Zeit besonders beeindruckt? Warum?

UN: Ach, da gab’s einige. Gary Victor aus Haiti zum Beispiel, weil er grandiose Bilder und Topoi findet, um die Realität seiner Heimat zu spiegeln. Candice Fox, die junge Australierin, weil sie klassische Krimi-Muster aufregend neu abmischt. Und Jérôme Leroy, dem mit seinem Roman »Der Block« ein extrem treffender, packender Kommentar zum rechtsradikalen Populismus gelungen ist. Aus Großbritannien haben mich zuletzt Denise Mina und Mark Peterson begeistert.

  1. Welchen bisher unentdeckten englischsprachigen Krimiautor/in würden Sie dem deutschen Publikum unbedingt empfehlen?

UN: Mir scheint, dass – alles in allem – derzeit vor allem in Australien interessante AutorInnen zu entdecken sind. Ich würde dem Publikum also empfehlen: Schauen Sie auf die Australier!

  1. Gibt es so etwas wie Modeerscheinungen im Krimigenre? Wenn ja, welche Mode herrscht gerade?

UN (lacht): Wie gesagt, Australien.

Ansonsten: Hier und da gibt´s kleine Trends, mal ein bisschen Zukunft, mal ein bisschen »Zurück in die Natur«, mal ein bisschen Politik – aber einen »großen« Trend kann man, finde ich, nicht ausmachen. Dazu ist der Markt vielleicht auch zu übersäuert. Wobei: (schüttelt sich) Eine schlimme, große Sache gibt es doch – die Touristenkrimis, die derzeit den Markt überschwemmen; also Wohlfühlgeschichten mit Regio-Touch von deutschen AutorInnen, die aber nicht in Deutschland angesiedelt sind, sondern in gut besuchten Urlaubsgebieten in Frankreich, Irland, Portugal, Italien…brr…..

  1. Vor dem Hintergrund des aktuellen Weltgeschehens, glauben Sie, dass der Politkrimi in nächster Zeit zunehmend an Bedeutung gewinnen wird?

UN: Jein. Das glaube ich schon seit ein paar Jahren, ohne dass meine Vorhersage – durchschlagend – eingetreten ist. Aber ich hoffe weiter. Angesichts – nicht bloß – des Weltgeschehens könnten viele gute Politkrimis sicher nicht schaden…

  1. Gibt es für Sie Handlungsorte, Motive, Konstellationen oder Handlungsstrukturen, die Sie besonders reizen? Warum?

Was ich mag? Wenn es vielschichtig und komplex ist, gerade auch der Spannungsaufbau. Das, denke ich, ist für einen guten, zeitgenössischen Kriminalroman unverzichtbar

UN (zuckt die Achseln): Puh. Ich glaube, ich bin da nicht so festgelegt. Wenn´s zusammenpasst und eine aufregende Geschichte ergibt, ist mir alles recht.

Was ich mag?Wenn es vielschichtig und komplex ist, gerade auch der Spannungsaufbau. Das, denke ich, ist für einen guten, zeitgenössischen Kriminalroman unverzichtbar: dass er Spannung auf mehreren Ebenen aufbaut…

  1.  Krimis haben in der Literaturszene immer noch ein wenig das Image des Schmuddelkindes, will sagen, sie gelten als trivial. Wie, glauben Sie, könnte man dem Krimi als Genre zu mehr Souveränität verhelfen?

UN: Ich würde sagen: Wenn das so ist, und es gibt Anzeichen dafür, müsste man darüber nachdenken, wie man „der Literaturszene“ zu mehr Souveränität verhilft… 🙂

 

Krimiscout bedankt sich bei Ulrich Noller und wünscht ihm weiterhin viel Erfolg.


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Beitragsbild (c) Ulrich Noller, privat, mit freundlicher Genehmigung