In unserer Reihe »Fahnderprofile« stellen wir diesmal Nils Heuner vor, der in der Krimiszene als Blogger und Rezensent unterwegs ist. Seine Liebe zum Genre begann mit Kalle Blomquist.
Steckbrief Nils Heuner
Seit meiner Jugend habe ich Spielzeugpistole und Agentenausweis nie wirklich abgelegt, verzichtete jedoch auf eine Ausbildung zum Spezialermittler, da ich kein Blut sehen kann. Alternativ schleuste ich mich in die Verlagsbranche ein, schreibe seit einigen Jahren Krimirezensionen für die Zeitschrift »kulturnews« und blogge über die Essgewohnheiten in Hardboiled-Romanen auf hardboiledheuner.wordpress.com
KS: Wann kamen Sie das erste Mal mit Kriminal- bzw. Spannungsliteratur in Berührung?
Lange vor dem Hype um Schwedenkrimis entdeckte ich »Meisterdetektiv Kalle Blomquist« von Astrid Lindgren für mich und jagte mit »Perry Clifton« von Wolfgang Ecke durch die Straßen Londons, bevor Bodie und Doyle es taten. Vermutlich, weil Frank Göhre damals bei der Stadtbücherei arbeitete und mir die Kinderkrimis zwischen meine Indianerbücher mogelte … Später schulte ich mich mit den Filmen von Hitchcock, der Schwarzen Serie und den Polizeiserien der 1970er, um nach Sendeschluss die Bücher von Hammett und Chandler vor meinen Augen flimmern zu lassen.
KS: Warum Krimis? Was ist Ihrer Meinung nach so faszinierend an diesem Genre?
Coole Kerle, taffe Frauen, schnelle Autos, miese Gauner, Handschellen und große Wummen. Hallo, noch Fragen
KS: Wie würden Sie den deutschen Krimimarkt charakterisieren? Bestehen Unterschiede zum englischen Krimimarkt (UK und USA)? Welche?
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Der deutsche Krimimarkt ist vielfältiger als er scheint. Wer sich von der Übermacht der englischsprachigen Bücher blenden lässt, deutsche Autoren auf Regiokrimis reduziert, nie zu Lesungen geht und nicht auf seinen Buchhändler hört, ist ziemlich schnell am Ende. Liest immer nur das Gleiche und probiert nicht mal was Neues aus. Dabei ist die deutsche Krimiszene durchaus wagemutig und zwischen Autoren, Verlegern, Übersetzern, Bloggern und Journalisten gibt es sehr viel Austausch. Das macht Mut, bringt Spaß, muss aber auch geflegt werden.
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KS: Welcher Autor/Autorin ist Ihnen besonders ans Herz gewachsen? Warum?
Charles Willeford. Der große Klassiker, den ich Dank der Neuauflage im Alexander Verlag wiederentdecke: Unaufgeregt, humorvoll und unglaublich lässig. Es lohnt sowieso, zwischendurch mal wieder zu Genreklassikern zu greifen, um neue Autoren einzuordnen und Vorbilder zu erkennen. Und natürlich um den Lesegenuss hoch zu halten.
KS: Welchen bisher unentdeckten englischsprachigen Krimiautor/in würden Sie dem deutschen Publikum unbedingt empfehlen?
Kein Buch hat mich im letzten Jahr so umgehauen wie »Zerrüttung« des Gothic-Noir-Autors Jon Bassoff (Polar Verlag). Beginnt harmlos, erwischt mich auf dem falschen Fuß und ließ mich lange nicht mehr los. Diesen Kerl muss man im Auge behalten.
KS: Gibt es so etwas wie Modeerscheinungen im Krimigenre? Wenn ja, welche Mode herrscht gerade?
Was einmal Erfolg hatte, serienmördert sich gnadenlos in die Buchregale
Nach wie vor: Psychopathenkiller aus Skandinavien, Country Noir aus den USA, komische Cops aus Australien und Apartheitskrimis aus Südafrika – Was einmal Erfolg hatte, serienmördert sich gnadenlos in die Buchregale. Dabei gibt es neben dem globalen Krimi-Mainstream bei kleinen Verlagen viele interessante Newcomer zu entdecken. Insgesamt ist die Grundstimmung zur Zeit morbide und tendiert zum Mystischen. Viel ausprobiert wird gerade beim Genremix, den zum Beispiel Candice Fox in ihren »Eden«-Romanen (Suhrkamp Verlag) gut hinbekommen hat.
KS: Vor dem Hintergrund des aktuellen Weltgeschehens, glauben Sie, dass der Politkrimi in nächster Zeit zunehmend an Bedeutung gewinnen wird?
Mein Tipp: Keine Nachrichten mehr verfolgen! Die Politthriller von Ross Thomas und Len Deighton sind eh phantasievoller, unterhaltsamer und lassen jede tatsächliche aktuelle politische Intrige alt aussehen. Von daher wünsche ich mir mehr Politthriller – und weniger Realität.
KS: Gibt es für Sie Handlungsorte, Motive, Konstellationen oder Handlungsstrukturen, die Sie besonders reizen? Warum?
Leider habe ich noch keinen Meckpomm-Country-Noir gefunden und ich wünsche mir mal einen Agententhriller mit einer anständigen Verfolgungsjagd durch Eisenhüttenstadt. Der deutsche Regio-Krimi muss endlich so dreckig und böse werden, dass wir ihn mit dem Label „Mad in Germany“ exportieren können!
Ein handfester irischer Hau-drauf-Pulp von Ken Bruen ist wie eine Currywurst auf die Faust: Unanständig, scharf und man fühlt sich sofort besser.
KS: Krimis haben in der Literaturszene immer noch ein wenig das Image des Schmuddelkindes, will sagen, sie gelten als trivial. Wie, glauben Sie, könnte man dem Krimi als Genre zu mehr Souveränität verhelfen?
Schmuddelkrimis? Immer her damit! Ein handfester irischer Hau-drauf-Pulp von Ken Bruen ist wie eine Currywurst auf die Faust: Unanständig, scharf und man fühlt sich sofort besser. Ob Schimanskifrühstück oder Haute Cousine: Das Krimigenre hat für jeden Geschmack etwas zu bieten – das finde ich sehr souverän!
Weiterführende Informationen
Nils »Hardboiled« Heuner bloggt auf hardboiledheuner.wordpress.com
und schreibt für kulturnews über Krimis.
Bildnachweis
Bild mit freundlicher Genehmigung des Autors