Im Verhörzimmer des Dezernats »Fahnderprofile« sitzt diesmal Alexander Roth, dem der Krimiscout ein paar dringende Fragen gestellt hat. Er findet, auch Krimis gehören auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises.
- Steckbrief Alexander Roth
AR: Krimi-Blogger, Buchhändler, mittlerweile Volontär bei einer Tageszeitung. Geboren 1989, ab Ende 2014 die Radiosendung »Der Schneemann« mit angeschlossenem Blog, dadurch später Texte für das »Crime Mag« – wie Alf Mayer es in dieser Rubrik treffend genannt hat, »das einzige ernsthafte deutsche Krimi-Magazin«. Als Amateur in der Profi-Liga viel gelernt und ganz sicher auch viele Fehler gemacht. Ende offen
- Wann kamen Sie das erste Mal mit Kriminal- bzw. Spannungsliteratur in Berührung?
AR: Wenn man von »Die drei ???«-Hörspielen absieht, war das während meiner Ausbildung zum Buchhändler. Kunstmann brachte gerade George V. Higgins‘ »Die Freunde von Eddie Coyle« und der Metrolit-Verlag landete mit »Galveston« von »True Detective«-Schöpfer Nic Pizzolatto einen echten Coup. Von da an fraß ich mich durch alles, was ich in die Finger bekam.
- Warum Krimis? Was ist Ihrer Meinung nach so faszinierend an diesem Genre?
AR: Krimis sind näher an der gesellschaftlichen Realität als jede andere Form der Fiktion. Sie handeln von Verbrechen, Milileus, Außenseitern, von allem, was den Werten, Normen und Vorstellungen einer Gesellschaft widerspricht. Dadurch wird der Status Quo nicht nur ans Licht gezerrt, er wird im besten Fall auch in Frage gestellt.
- Wie würden Sie den deutschen Krimimarkt charakterisieren? Bestehen Unterschiede zum englischen Krimimarkt (UK und USA)? Welche?
AR: Schwierige Frage. Allgemein würde ich den deutschen Krimimarkt wie folgt charakterisieren: Bräsig, uninspiriert, ohne die Indie-Verlage und den wichtigen Input weniger Leute hoffnungslos verloren. Andererseits habe ich bisher immer guten Lesestoff aufgetrieben, ganz so schlimm kann es also nicht sein. Was die Unterschiede zum englischen Markt angeht, müssen das Leute beantworten, die sich damit wirklich auseinandergesetzt haben.
»Krimis sind näher an der gesellschaftlichen Realität als jede andere Form der Fiktion. Sie handeln von Verbrechen, Milileus, Außenseitern, von allem, was den Werten, Normen und Vorstellungen einer Gesellschaft widerspricht«
- Welcher Autor/Autorin hat Sie in letzter Zeit besonders beeindruckt? Warum?
AR: Das dürfte Benjamin Percy gewesen sein. Er hat mich beeindruckt, weil er nicht nur ungewöhnliche – und ungewöhnlich gute – Geschichten schreibt, sondern mit »Thrill Me« auch einen Essayband über das Schreiben von Genre-Literatur vorgelegt hat, den ich nun bestimmt schon zum dritten Mal lese. Ach was, lesen musste!
- Welchen bisher unentdeckten englischsprachigen Krimiautor/in würden Sie dem deutschen Publikum unbedingt empfehlen?
AR: »Unentdeckt« ist für einen Autor, der sein Debüt erst dieses Jahr veröffentlicht hat und in der Jahresbestenliste der New York Times auftaucht vielleicht etwas zu viel gesagt, aber: Hart Hanson, »The Driver« lohnt sich unbedingt.
Eine Stellschraube, an der man aber sicher noch drehen könnte, ist die der Literaturpreise. Warum nicht mal ein lupenreiner Krimi auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises?
- Gibt es so etwas wie Modeerscheinungen im Krimigenre? Wenn ja, welche Mode herrscht gerade?
AR: Auf jeden Fall. Aktuell können wir der Welle der generischen Feelgood-Urlaubskrimis à la Bannalec beim Abebben zusehen. Vielleicht ist das aber auch nur Wunschdenken meinerseits. Spannend wird es aber bei der Frage, was darauf folgt. Ich hätte da ja schon eine Vermutung …
- Vor dem Hintergrund des aktuellen Weltgeschehens, glauben Sie, dass der Politkrimi in nächster Zeit zunehmend an Bedeutung gewinnen wird?.
AR: Absolut, und zwar in jeder Hinsicht. Das, was wir bisher als Politthriller verstehen, bekommt durch die Re-Politisierung der Gesellschaft wieder mehr Zuspruch, wird wieder mehr geschrieben und mehr verlegt. Diese Entwicklung zeichnet sich bereits ab. Wir werden aber auch damit leben müssen, dass das Politikverständnis derer in die Literatur einfließen wird, die in den letzten zwei Jahrzehnten nichts von Politik wissen wollten. Das Genre ist leider prädestiniert für Verschwörungstheorien und das Verbreiten kruder Meinungen. Ich halte es außerdem für sehr wahrscheinlich, dass viele Autoren nach dem Schorlau-Prinzip arbeiten werden: Ein aktuelles Aufreger-Thema möglichst schnell zu irgendeinem Krimi-Derivat verwursten.
- Gibt es für Sie Handlungsorte, Motive, Konstellationen oder Handlungsstrukturen, die Sie besonders reizen? Warum?
AR: Mich reizt alles, was abseits der Städte spielt, und zwar aus mehreren Gründen. Erstens: Ich bin in einer gerade-so-noch-Stadt aufgewachsen. Zweitens: Ich finde, es wird in Deutschland fast ausschließlich verklärt über ländliche Gegenden geschrieben – ein einzelner Friedrich Ani kommt gegen alle Klüpfel und Kobrs dieser Welt nun mal nicht an. Drittens: Das regt mich auf, ich suche aber stetig nach positiven Gegenbeispielen. Viertens: Vor lauter Verzweiflung habe ich selbst angefangen, darüber zu schreiben.
- Krimis haben in der Literaturszene immer noch ein wenig das Image des Schmuddelkindes, will sagen, sie gelten als trivial. Wie, glauben Sie, könnte man dem Krimi als Genre zu mehr Souveränität verhelfen?
AR: Zuallererst: Ich glaube, das erledigt sich von selbst. Jeder neue Autor, jeder neue Leser ist in irgendeiner Form mit Genre sozialisiert worden, die Elfenbeintürme verwaisen. Eine Stellschraube, an der man aber sicher noch drehen könnte, ist die der Literaturpreise. Warum nicht mal ein lupenreiner Krimi auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises?
Krimiscout bedankt sich bei Alexander Roth für das Interview und wünscht ihm weiterhin viel Erfolg.
(c) Andrea O’Brien, 2018
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Bildnachweis
Beitragsbild (c) Jens Ole Huerkamp 2018