Amy Stuarts Debütroman mit dem doppeldeutigen Titel »Still Mine« erzählt von einer tragischen Heldin, die sich wider Willen auf die Suche nach einer Vermissten begibt.

Eine junge Frau kommt in eine einsame, verarmte Bergarbeiterstadt. Sie ist auf der Flucht vor ihrer Vergangenheit und auf der Suche nach einer Vermissten. Die Flüchtende hat diesen Ort nicht willkürlich gewählt,  doch sie kennt ihn nicht,  ist eine Fremde, hat nicht mal eine Unterkunft.

An diesem Ort ist auch eine junge Frau names Shayna verschwunden, doch niemand scheint ernsthaft nach ihr zu suchen.

So weit, so schleierhaft. Rätselhaft ist bereits der erste Satz:

‚‚Manchmal träume ich von meiner Flucht“

Eine Frau verschwindet – doch niemand sucht

Vorangestellt sind der eigentlichen Handlung jeweils fragmentarische Tagebuchaufzeichnungen, die die Erlebnisse der Heldin mit dem Schicksal der Vermissten zu verquicken scheinen.

Erst nach einigen Seiten erhält der Leser einen Namen: Clare O’Dey heißt die junge Frau, die an diesem Abend in einer Stadt namens Blackmore eintrifft und im einzigen, aber abbruchreifen Motel am Ort vergeblich ein Zimmer sucht. Die Bewohner Blackmores lebten vom Bergbau, bis sich ein furchtbares Grubenunglück mit mehreren Toten ereignete. Seither ist die Mine geschlossen, der Ort verfällt zusehends und die Bewohner vertreiben sich mit gewalttätigen Familienfehden und Drogenmissbrauch die Zeit.

In dieser Gemengelage verschwindet die junge Shayna nach einem rauschenden Fest. Wie die meisten jüngeren Bewohner des Ortes war auch Shayna drogenabhängig. Ihr Ex-Mann steht unter Verdacht, sie umgebracht zu haben, doch ein Verbrechen kann ihm niemand nachweisen. Weil alle vom Tod Shaynas überzeugt sind – entweder ist sie durch die Hand ihres Ex-Mannes gestorben oder durch einen Sturz in eine Felsspalte – gibt es unter den Bewohnern kein ernsthaftes Interesse, sie zu suchen.

Clare O’Dey wird von einem rätselhaften Mann namens Malcolm Boon aus anfangs noch unklaren Gründen dazu gezwungen, Shaynas Verschwinden aufzuklären. Doch die Bewohner Blackmores entpuppen sich als extrem misstrauisch. Clare gibt sich als Fotografin aus, eine Rolle, die ihr niemand recht abnimmt. Nach und nach gelingt es ihr dennoch, Shaynas Bekannten und ihrer Mutter Informationen zu entlocken, die sie schließlich auf die richtige Fährte bringen.

It’s about atmosphere, stupid!

So weit, so gut. Dieser Roman hat viele gute Zutaten, man hätte sie nur besser dosieren müssen.

Die Atmosphäre ist herrlich gruselig, die undurchsichtige Geschichte der Clare O’Dey fesselnd, die ungeklärte Beziehung zu Malcolm Boon verspricht eine spannende Fortsetzung und das Setting ist gut gewählt.

Eine Reihe von Schwächen trüben allerdings das Lesevergnügen. Ärgerlich ist es, wenn die Leser, wie hier geschehen, derart spärliche Informationen erhalten, dass sie im Nebel herumirren. Das ist nicht spannend, sondern frustrierend. Unbefriedigend ist auch das Missverhältnis zwischen der Aufmerksamkeit, die jeweils der Protagonistin Clare und der jungen Shayna zuteil wird. Die mysteriösen Umstände und das Leben und Fühlen Shaynas sind eigentlich Teil der Haupthandlung, nehmen aber in etwa so viel Platz ein wie eine unwichtige Nebenepisode – mit dem Effekt, dass den Lesern nicht viel an der Gesuchten liegt und ihnen ihr Schicksal eigentlich egal ist. Das nimmt dem Roman die Spannung.

Unglaubwürdig ist, dass sich die misstrauischen Bewohner der Protagonistin schließlich doch anvertrauen, obwohl niemand ihre Coverstory glaubt.

Das Grubenunglück, die Familienfehde, die Demenzerkrankung der Mutter, der Drogenmissbrauch und Drogenhandel im Ort und Nebensächlichkeiten wie z.B.  ein lang und breit geschilderter  Feiertagsumzug tragen wenig zur eigentlichen Haupthandlung bei und wirken deshalb wie Lückenfüller.

Sämtliche männlichen Nebenfiguren – außer Shaynas betagter Vater – bleiben bis zum Schluss austauschbar.

Und last, but not least: Wer in diesem Roman auf eine Eskalation oder ein verblüffendes Ende wartet, wird garantiert enttäuscht.

Dieser Roman ist ein Debüt. Die Autorin hat vieles richtig gemacht, ihre Heldin und deren Gegenspieler haben viel Potenzial, und die Grundidee von der Geflüchteten, die sich auf die Suche nach Vermissten macht, eignet sich wunderbar für viele neue Episoden.

Fazit: Krimiscout ist nicht begeistert –  bleibt aber dran!


Anmerkung: Die hier besprochene Vorabversion des Romans wurde Krimiscout freundlicherweise von Netgalley zur Verfügung gestellt.