Dervla McTiernans Debüt „The Ruin“ enthält viele Elemente, die das Herz des Spannungsfans höher schlagen lassen. Doch viele Zutaten machen noch kein Galadinner. Dieser Erstling ist ein perfektes Beispiel für vieles, was bei einem Krimi falsch laufen kann.

Neues Jahr, neuer Krimi

Dervla McTiernans Serie um DI Cormac Reilly ist im regnerischen Galway angesiedelt, die Autorin stammt selbst aus Irland. Und mit der Wahl des Handlungsorts sind auch die Eckpfeiler ihrer Geschichten gesetzt, denn die hier behandelten Themen und sozialen Konstellationen sind fest in den Kontext der  irischen Gesellschaft verankert.

Die Eingangsszene, die bekanntlich auch den „Haken“ enthält, mit dem LeserInnen in die Geschichte gezogen werden sollen, ist der Autorin besonders gelungen. Wir befinden uns im Jahr 1982. Garda Reilly, frisch aus der Polizeischule entlassen, wird zu seinem ersten Einsatz geschickt. Er soll nach einer Mutter mit ihren zwei Kindern sehen, die in einer verlassenen Gegend wohnt und als Alkoholikerin bekannt ist. Was er in dem halb verfallenen Haus der Familie vorfindet, wird er nie vergessen.

McTiernan hat mit „The Ruin“ einen durchaus lesenswerten Krimi vorgelegt, der jedoch einige Schwächen aufweist. Und diese sind insofern interessant, als dass sie uns zeigen, woran viele Spannungsromane scheitern.

Parallel dazu, aber zeitlich in der Gegenwart angesiedelt, tauchen wir mitten ins Leben einer angehenden Chirurgin namens Aisling ein, die ihrem Freund mitteilt, dass sie schwanger ist – ein absoluter Karrierekiller. Aber das ist nur der Anfang der tragischen Geschichte um Aisling und ihren Partner Jack.

McTiernan hat mit „The Ruin“ einen durchaus lesenswerten Krimi vorgelegt, der jedoch einige Schwächen aufweist. Und diese sind insofern interessant, als dass sie uns zeigen, woran viele Spannungsromane scheitern.

Klar ist bereits an dieser Stelle, dass sich die Plotstränge um Aisling, Jack und DI Reilly irgendwann verbinden werden, und so geschieht es auch. Doch dazu bedarf es einer weiteren Figur namens Maude, die die beiden Stränge zusammenführt. Jede dieser Figuren hat wiederum ihre eigene Backstory, die die Autorin allerdings nur fragmentarisch erzählt. Backstories und alltägliche Probleme der Hauptfiguren sind wichtige Elemente, die AutorInnen helfen, ihre Figuren zu charakterisieren und glaubwürdig zu machen. Doch sie müssen wohldosiert eingesetzt werden. Und genau hier befindet sich ein erster Schwachpunkt in diesem Roman.

Problem 1:  Unglaubwürdige Figurenhandlung

DI Cormac, der aus der Ich-Perspektive erzählt, war – so erfahren wir – vor seinem Wechsel nach Galway als Detective bei einer Eliteeinheit in Dublin tätig. So weit, so gut. Leider wollen seine dösigen Ermittlungsmethoden so gar nicht zu dem Bild vom blitzgescheiten, mit allen Wassern gewaschenen Polizisten passen, den man sich gemeinhin beim Wort „Eliteeinheit“ vorstellt. Auch Reillys Menschenkenntnis und Verständnis der Ränkespiele unter Kollegin ähneln phasenweise denen einer Scheibe Toast.  Seine wenig intelligenten Nicht-Einsichten erfahren wir dank der Erzählperspektive auch noch aus erster Hand. Das ist befremdlich. Gelinde gesagt.

Ähnlich unglaubwürdig verhält sich die angehende Chirurgin Aisling. Auch hier haben wir es mit einer Figur zu tun, von der wir aufgrund ihres Berufs eine relativ hohe geistige Wendigkeit voraussetzen. Leider ist Aisling im Zusammenhang mit den Geschehnissen rund um ihren Partner in etwa so helle wie eine defekte Glühbirne. In Aislings Fall kann man das vielleicht noch auf ihre besonderen Umstände zurückführen (damit meine ich nicht die Schwangerschaft).

Problem 2: Zu viele Themen

Dervla McTiernan hat sich in ihrem Erstling einiges vorgenommen. Um den Lesern nichts vorwegzunehmen, werde ich diese nicht eigens auflisten, aber nur so viel: ich habe sechs gezählt. Das kann man machen, aber wenn man sich als AutorIn so komplex aufstellt, muss man stets die Fäden in der Hand behalten. Romane, bei denen dies nicht gelingt, fallen dann eher in die Kategorie „überambitioniert“ – und leider ist auch McTiernan so ein Fall. Das ist eine Schwäche, mit der man als KrimileserIn  durchaus leben kann, nimmt dem Buch aber viel von seiner Wucht.

Problem 3: Langsamer Aufbau, überstürzte Auflösung

Dieses Problem ergibt sich praktisch aus dem vorigen. Ein Roman, der viele verschiedene Themen behandelt, braucht meist eine längere Anlaufzeit. Das ist nicht weiter problematisch, wenn das Timing stimmt und die Vorbereitung nicht mehr Raum einnimmt als die Haupthandlung. Das hat McTiernan gut hinbekommen, vielleicht hätte sie sogar nicht mehr Zeit mit der historischen Vorgeschichte verbringen können. Was mich hier irritiert hat, war nicht so sehr die Vorbereitung, sondern die lange Ermittlungsphase, der eine überstürzte, wenig befriedigende Auflösung folgt. Und damit kommen wir zu Problem 4. An dieser Stelle springen diejenigen, die den Roman noch nicht kennen, bitte vor bis zum Fazit.

Achtung Spoiler


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Problem 4: Soziopathische Mörder – Das Rundum-Sorglos-Paket für Autoren

Ein altbekanntes Motiv, das immer wieder gern genommen wird, aber leider nie überzeugt: Der Mörder ist ein Soziopath. Diese Variante funktioniert als Auflösung in einem komplexen Krimiplot ungefähr so wie der deus ex machina im Theater. Da macht es auf einmal nichts mehr, dass alle Polizisten wie die Hornochsen durch den Fall stümpern und niemand erkannt hat, was den geneigten LeserInnen schon nach den ersten Seiten klar war, weil: so ein Soziopath ist unberechenbar, das hatte man ja nicht kommen sehen können.  Und auch für die Autorin ist der soziopathische Killer ein Geschenk, denn so braucht sie sich keinen „echten“ Grund, vulgo „Motiv“, für die vorher beschriebenen Tat(en) auszudenken. Bequem wie ein Fertiggericht.[/spoiler]


Fazit

Dervla McTiernan ist keine schlechte Autorin, ihre Serie hat viele Elemente, die auf gute Unterhaltung hoffen lassen. Die oben beschriebenen Schwächen sind nicht so verheerend, dass ich LeserInnen dieses Buch nicht trotzdem empfehlen würde. Aber: Da ist noch viel Luft nach oben.

(c) Andrea O’Brien, 2019